In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
hat.«
»Dann nimm ihn doch.«
»Komm schon.«
»Peter, Schätzchen, du weißt, was ich zu sagen habe.«
»Sag’s mir trotzdem.«
Sie seufzt genüsslich. Sie könnte jederzeit ein Klimt-Porträt sein, mit ihren weit auseinanderstehenden Augen und dem knochigen kleinen Apostroph von einer Nase.
Sie sagt: »Einen Künstler anzunehmen, den du nicht magst und der viele Arbeiten verkauft, hilft die Künstler zu finanzieren, die du magst und die nicht viele Arbeiten verkaufen. Muss ich dir das wirklich sagen?«
»Anscheinend schon.«
»Es wird vermutlich sowieso nicht dazu kommen. Einer der Großen wird ihn sich schnappen.«
»Aber ich werde entweder mit ihm reden oder nicht.«
»Es ist ein Geschäft, Peter.«
»Hm.«
»Schau mich nicht so an, als wäre ich der Teufel. Untersteh dich.«
»Sorry. Ich weiß, dass du nicht der Teufel bist.«
»Das Problem, mein kleiner Freund, ist, dass du denkst, du hast recht und alle Welt irrt.«
»Ist daran auch nur etwas annähernd Heroisches?«
»Nein«, sagt sie. »Überhaupt nicht.«
Da sie einen Abgangssatz auf Anhieb erkennt, kehrt sie in ihr Büro zurück.
Er geht in sein Büro, nimmt einen Ordner, den er am Samstag auf seinem Schreibtisch hat liegen lassen, und legt ihn auf den Aktenschrank. Es gibt eigentlich keinen Grund dafür, es ist nur zum Eingewöhnen am Montagmorgen, um dem leblosen Seelenbrodeln oder was immer hier in den zweiunddreißig Stunden residiert hat, in denen er woanders war, seine Anwesenheit kundzutun.
Er holt sich eine Tasse Kaffee, geht zurück in die Galerie. In letzter Zeit kommt es ihm so vor, als laufe er ziemlich oft mit dem einen oder anderen Getränk durch vertraute Räume. Hätte ihn Bacon so gemalt? Ein schrecklicher Gedanke. Er hätte die Bacon-Zeichnung bei der Auktion 95 kaufen sollen, sie war ihm zu teuer vorgekommen, aber heute ist sie fünfmal so viel wert. Ein weiterer beunruhigender Gedanke. Aktien steigen und fallen und steigen wieder.
Hier sind sie. Die Vincents. Da gehen sie dahin.
Und dann wird die Galerie kurz leer sein, weiße Wände und Betonböden. Man schafft reine Leere, damit die Kunst sie ausfüllen kann. Peter liebt die kurze Zeit, in der die Galerie nicht von Kunst in Beschlag genommen wird. Der schmucklose, perfekte Raum verspricht eine Kunst, die besser ist als das, was irgendein Mensch produzieren kann, egal, wie genial es ist; es ist die Stille, bevor das Orchester einsetzt, das Dämpfen des Lichts, bevor sich der Vorhang hebt. Genau darum geht es bei Vincent. Die Kunst, die wir produzieren, lebt in einem empfindlichen Gleichgewicht mit der Kunst, die wir uns vorstellen können, der Kunst, die der Raum erwartet. Genau das hat Missy in diesem Monat in Japan getan, nicht wahr? In der Leere sitzen und versuchen, sich etwas Großartigeres vorzustellen, als es von Menschenhand erschaffen werden kann. Der arme Junge war nicht dazu bereit. Wer ist das schon?
Und hey. Die Vincents haben sich nicht gerade gut verkauft, oder?
Also. Eine Zeitlang wird hier nichts sein, und dann die nächste Ausstellung. Victoria Hwang, mitten in ihrer Karriere, wird unterschätzt, aber aus Gründen, die Peter nicht ganz entschlüsseln kann, erregt sie allmählich ernsthaft Aufmerksamkeit – diese Dinge können rätselhaft sein, irgendein gemeinsames Bauchgefühl einer kleinen, aber einflussreichen Gruppe von Menschen, dass es an der Zeit ist, dass diese Objekte mit einem Mal wichtiger sind, als es ursprünglich den Anschein hatte (in Victorias Fall eine Reihe von geheimnisvollen Videos, die alle auf den Straßen von Philadelphia aufgenommen wurden und anhand deren sie Merchandising-Artikel herstellt – Actionfiguren, Lunchboxen,T-Shirts -, die auf willkürlich ausgewählten Passanten basieren, alle unbekannt und gewöhnlich, die kurz und ohne es zu wissen an der Kamera vorbeigelaufen sind). Sie machen einen verrückt, diese Umschwünge. Sie sind nicht kalkuliert, nicht im Sinne einer Absprache der internationalen Kunsthändler (manchmal wünscht er, es wäre so), aber es geht dabei auch nicht unbedingt um die Kunst. Es sind unglaublich komplizierte Reaktionen auf eine Milliarde winziger Veränderungen in der Kultur, der Politik, in den Ionen der gottverdammten Atmosphäre; man kann sie nicht voraussehen oder verstehen, aber man kann sie kommen spüren, so wie Tiere angeblich ein Erdbeben spüren können, bevor es sich ereignet. Er stellt Victoria schon seit fünf Jahren aus, wirbt für sie, hat ein bestimmtes Gefühl gehabt,
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