In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

und plötzlich, siehe da, kommen die Leute aus unerfindlichem Grund allmählich auf den Trichter. Ruth vom Whitney will sie sehen. Desgleichen Eve vom Guggenheim. Artforum will nächsten Monat, das heißt, schon nächste Woche, einen Artikel über sie bringen.
    Er hat Victorias Ausstellung in Gedanken schon weitgehend gehängt, aber sie wird natürlich ein paar eigene Vorstellungen haben. Auch wenn Vic die Arbeiten noch nicht geliefert hat und es Zweifel an der Zuverlässigkeit ihres Versprechens gibt, bis morgen früh alles hier zu haben, ist sie keinesfalls eine der Schwierigen, und dafür ist er Gott dankbar. Es ist die letzte Ausstellung der Saison, er ist müde – er muss zugeben, dass er ab und zu der Verzweiflung nahe war – und dementsprechend dankbar für die ausgeprägte, wenn auch seltsam träge Intelligenz von Vic Hwang. Sie ist langsam, aber sie wird die Ausstellung nicht hängen und danach darauf bestehen, sie wieder herunterzunehmen und von vorne anzufangen. Wenn sich die Arbeiten nicht verkaufen, wird sie sich ebenso viel Schuld daran geben wie Peter.
    Außerdem, so scheint es, ist sie dabei, Karriere zu machen.
    Bock Vincent, so traurig das auch sein mag, wird vermutlich keine machen. Es läuft nicht gut für ihn – hübsche, dezente Rätselhaftigkeit ist nicht sehr ausbaufähig, und Bock hat keine große Bandbreite.Was hat Uta gerade gesagt? Du denkst, du hast recht und alle Welt irrt sich. Wenn das nicht auf Peter Harris zutrifft, dann mit Sicherheit auf Bock Vincent. Er war ein komischer Kauz (selbst nach den Maßstäben des Bard), als Peter ihn kennengelernt hat – faunisch, auf eine leicht inzüchtige, edwardianische Art fragil, von einer anrührenden, wenn auch enervierenden Ernsthaftigkeit. Das Bard ging ein Risiko mit ihm ein. Desgleichen Peter.
    Peter staunt noch immer darüber, inwieweit eine wachsende Schar von Anhängern das Werk eines Künstlers verändern kann, buchstäblich verändern, und zwar nicht nur das neue Zeug, sondern auch das alte, die Stücke, die es schon eine Weile gibt, die man »interessant« fand oder »vielversprechend«, aber unbedeutend, bis (nicht oft, nur ab und zu) ein Künstler aufgrund einer unerklärlichen Übereinkunft für vernachlässigt erklärt wird, falsch dargestellt, seiner Zeit voraus. Erstaunlich ist, wie sich das Werk selbst zu verändern scheint, mehr oder weniger genauso, wie wenn ein einigermaßen hübsches Mädchen plötzlich wie eine Schönheit behandelt wird. Die eigenwillige, kluge Victoria Hwang wird nächste Woche im Artforum sein und vermutlich in den Sammlungen des Whitney und des Guggenheim; Renée Zellweger – mondgesichtig, mit verkniffenen Augen, eine Charakterdarstellerin, wenn es je eine gab – war gerade auf dem Cover der Vogue und sah hinreißend aus in einem silbernen Abendkleid. Es ist natürlich eine Frage der Wahrnehmung – man begreift, dass dieser komische kleine Künstler oder dieses schrullig aussehende Mädchen mit einer neuen Ernsthaftigkeit betrachtet werden muss -, aber Peter vermutet, dass da noch eine tiefer gehende Veränderung stattfindet. Der Mittelpunkt von so viel Aufmerksamkeit (und ja, so viel Geld) zu sein scheint geradezu die Moleküle der Kunst, der Schauspielerin oder des Politikers anzuregen und neu zu ordnen. Es ist nicht nur ein Phänomen einer veränderten Erwartungshaltung, es ist eine echte Wandlung, die durch die veränderte Erwartungshaltung bewirkt wird. Renée Zellweger wird zu einer Schönheit und würde auch für jemanden, der noch nie von ihr gehört hat, wie eine Schönheit aussehen.Victoria Hwangs Videos und Skulpturen sind im Begriff, so scheint es, nicht nur faszinierend und amüsant, sondern bedeutend zu werden.
    Sorry, Bock Vincent.
    Was wird aus diesen neuen jungen Stars, die die Erwartungen nicht erfüllen? Wohin gehen sie, wenn sie mit sechsundzwanzig passé sind?
    Okay. Wohin wird Bock gehen, wenn Peter ihn fallenlässt? Peter kann es sich nicht leisten, Arbeiten zu zeigen, die nicht gehen. Und er mag die Arbeiten, er mag sie sehr, aber er bewundert sie nicht, er würde ihretwegen nicht ins Feuer greifen.
    Auch nicht für Victoria Hwang, obwohl er das niemals zugeben würde, gegenüber niemandem.
    Bitte, lieber Gott, schicke mir etwas zum Bewundern.
    So, der Arbeitstag beginnt.
    Carole Potter? Noch nicht gleich. Fang mit Tyler und seinem Trupp an.
    Ja, sie werden bis Mittag da sein, spätestens halb eins, um die Vincents in Kisten zu packen. Keine Angst, Mann, wir kommen. Tyler