In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
herunter. Bis Donnerstag hängen lauter neue Werke.
Uta tritt mit einer Kaffeetasse in der Hand aus ihrem Büro. Mit Henna gefärbte Haare, eine wuchtige Alain-Mikli-Brille. Vor zwei Jahren, als Rebecca in den Fotografen aus L.A. verschossen war, hatte es zwischen ihnen eine Weile gefunkt und geknistert, als wäre da etwas möglich. Es war die Zeit gewesen, wenn es jemals so eine Zeit gab, in der Peter etwas Kleines hätte laufen haben können – Rebecca wollte es allem Anschein nach. Uta war eindeutig bereit, und offenbar wollte sie nichts anderes als ein Techtelmechtel (ein schreckliches Wort), nichts anderes, als endlich nur nachzugeben nach all der gemeinsamen Arbeit, den gemeinsamen Reisen, nachdem sie von montags bis samstags in diesem halberotischen, fast, aber nicht ganz vorhandenen Reich aus körperlicher Nähe lebten. Sie wäre sexy, taff und liebevoll gewesen, keine Frage; sie wäre beleidigt gewesen, hätte man ihr unterstellt, dass sie mehr erwartete ( So, du denkst also, Frauen ficken mit dir, weil sie was dafür haben wollen? ). Und dennoch. Vielleicht hatte Peter das Gefühl, dass er das Ganze nur zu deutlich sehen konnte: den abgeklärten Weimarer Zynismus, einen süßen und verdrossenen Zynismus, aber trotzdem; die Zigaretten, den Kaffee und die Frotzeleien; die ganze schwarzhumorige nihilistische Deutschheit daran. Denn Uta ist deutsch, absolut deutsch, weshalb sie natürlich von dort weg ist und darauf besteht, dass sie nie wieder zurückgehen wird.
Ach, all ihr Einwanderer und Visionäre, was hofft ihr hier zu finden, was hofft ihr zu werden?
Mehrere Monate später beendete Rebecca ihre Liebelei mit dem Fotografen, und soweit Peter wusste, hatten sie nicht mehr miteinander als einen Kuss an einem nächtlichen Pool in den Hollywood Hills. Er und Uta arbeiten noch zusammen, so wie immer, mehr oder weniger so wie immer, auch wenn es Zeiten gibt, in denen er das Gefühl hat, weil sie so nahe daran waren, miteinander zu schlafen, gefährlich nahe, und es nicht durchgezogen haben, ist diese gewisse Spannung verflogen und eine belebende Möglichkeit zwischen ihnen für immer verloren gegangen. Sie werden allmählich in aller Freundschaft gemeinsam alt.
»Carole Potter hat angerufen«, sagt sie.
»Schon?«
»Schätzchen, Carole Potter steht morgens auf und füttert ihre verfluchten Hühner .«
Richtig. Carole Potter, Erbin eines Wäschereivermögens, lebt auf einer Farm in Connecticut. Zugegeben, eine Farm im Stil einer Marie Antoinette: Kräutergärten, exotische Hühner, die so viel kosten wie reinrassige Hunde. Dennoch muss man eins anerkennen – sie bewirtschaftet sie. Sie putzt den Hühnerdreck weg, sammelt die Eier ein. Als Peter letztes Jahr zum Abendessen dort war, hat sie ihm ein frisch gelegtes Ei gezeigt, das unglaublich, herzzerreißend, hellblau-grün war, mit Federflaum verklebt, am dickeren Ende mit einem rot-braunen Blutstreifen verschmiert. So sehen sie aus, bevor wir sie säubern , hatte Carole gesagt. Und Peter hatte gesagt (oder, was wahrscheinlicher ist, gedacht), ich würde liebend gern einen Künstler finden, der so etwas machen kann.
Eine Liste will sich in seinem Kopf herausbilden.
Frische Eier, ganz verklebt und blutig.
Bette, die vor dem Maul eines Hais steht.
Missy, der jeden Tag in einem Kloster in Japan sitzt.
Es ist ein Triptychon, nicht wahr? Geburt, Tod und alles, was dazwischen liegt.
»Carole möchte, dass du sie zurückrufst«, sagt Uta.
»Hat sie gesagt, worum es geht?«
»Ich glaube, das wissen wir.«
»Stimmt.«
Carole Potter ist mit dem Sasha Krim nicht glücklich.
Es ist, wie man so schön sagt, ein anspruchsvolles Stück, aber Peter hatte gehofft …
»Gibt’s noch andere Ärgernisse zu melden?«, sagt er.
»Ich liebe das Wort ›Ärgernisse‹.«
»Das liegt am g. Es ist schön, mit dem ä loszulegen und dann das g rauszulassen.«
»Nur die üblichen«, sagt sie.
»Wie war das Wochenende?«
»Ärgerlich. Eigentlich nicht, ich wollte es bloß sagen. Bei dir?«
»Bette Rice hat Brustkrebs. Sie hat es mir am Sonntag erzählt.«
»Wie schlimm?«
»Ich weiß es nicht. Na ja. Schlimm, glaube ich. Sie schließt, sie will Rupert Groff zu uns lotsen.«
»Phantastisch.«
»Ist es das?«
»Warum denn nicht?«
»Was hältst du von seinen Arbeiten?«
»Ich mag sie.«
»Ich bin mir nicht so sicher.«
»Dann nimm ihn nicht.«
»Sein Zeug verkauft sich allmählich. Es geht das Gerücht, dass Newton ein Auge auf ihn geworfen
Weitere Kostenlose Bücher