In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Polonius?
Peter liegt in beschämter, faszinierter Stille da.
Um sieben nach vier hört er, wie Missy den Dealer hereinsummt, die Drogen kauft. Es ist natürlich ungeheuerlich, dass Missy einem Drogendealer ihre Adresse gegeben und ihn, wenn auch nur kurz, ins Loft gelassen hat, aber zugleich … es ist ja nicht so, dass Peter vorher noch nie Drogen gekauft hat (das gelegentliche Gramm Kokain, hier und da auch mal Ecstasy), und er weiß ganz gut, wer Leuten wie Missy (oder ihm) Drogen in kleinen Mengen verkauft. Irgendwo in dieser unvorstellbaren Versorgungs- und Nachfragekette gibt es gefährliche, verzweifelte Männer, die zu so gut wie allem fähig sind, aber der Typ, der in ein Taxi springt, um dir ein bisschen Koks, Crystal oder ein paar bunte Pillen zu verkaufen, ist wahrscheinlich ein junger oder, noch wahrscheinlicher, nicht mehr so junger Schauspieler/Model/Kellner, der die zusätzliche Kohle braucht. Peter könnte rechtschaffene Wut auf Missy simulieren, und wirklich, Missy hätte sich mit diesem Typ irgendwo anders treffen können (ja, er ist verzogen und dreist, das lässt sich nicht leugnen), aber ein Zornesausbruch wäre doch etwas überzogen. Verdammt, Missy (ETHAN), wie kannst du es wagen, einen achtundzwanzigjährigen Chorknaben namens Scott, Brad oder Brian in unsere Wohnung zu lassen? Die meisten dieser »zwielichtigen Charaktere« geben innerhalb der nächsten zehn Jahre das Showbusiness (oder was immer sie nach New York geführt hat) auf und kehren in ihre Heimatstädte zurück, wo sie als Gärtner arbeiten oder Immobilien verkaufen. Peter hat keine Lust auf Theater; er ist nicht für Missy verantwortlich. Und wirklich, er würde sich nur lächerlich vorkommen, wenn er aus seinem Zimmer geplatzt käme wie ein tattriger Onkel in einer italienischen Farce, die sommersprossige Faust schütteln und verkünden würde, dass er alles gehört habe.
Und deshalb bleibt er, wo er ist.
Er hört Missy im anderen Zimmer herumlaufen, das leise Gleiten seiner Schritte, als er in die Küche geht, wiederkommt und eine CD auflegt (Sigur Rós), in die Küche zurückkehrt. Dann ist es dreiundzwanzig Minuten ruhig, bis auf die tiefen Töne und die Geisterstimme der Musik. Zieht Missy Crystal? Ach, was denkst du? Schließlich wieder Schritte, die durch das Wohnzimmer gleiten, näher kommen … einen Moment lang scheint es, als wolle Missy in Peters Zimmer kommen. Peters Haut prickelt vor Angst (er wird so tun müssen, als schliefe er) und Wut ( Was zum Teufel suchst du? ).Aber Missy geht natürlich nur in das andere Schlafzimmer, seines vorerst. Die Rigipswand, die die beiden Zimmer voneinander trennt, scheint die Geräusche fast zu verstärken – Bea ist so lange weg, dass Peter es vergessen hat. Er hört, wie Missy seine Shorts auszieht (das Ratschen des Reißverschlusses und, beinahe ohrenbetäubend, das Scheppern der Gürtelschnalle, als sie auf den Boden schlägt);er hört genau, wie das Bett knarrt, als Missy sich hineinlegt. Er und Peter sind jetzt etwa anderthalb Meter voneinander entfernt, getrennt durch eine Wand aus Hightech-Karton, liegen beide da.
Und … ja. Eine Minute vergeht, eine weitere fängt an, und Missy masturbiert eindeutig. Peter kann es spüren. Er meint es spüren zu können. Sex verändert die Luft, stimmt’s? Und er hätte schwören können, dass er hören kann, wie Missy ein kurzes, leises Stöhnen von sich gibt, obwohl es auch Sigur Rós sein könnte. Aber wirklich.Was sollte ein Dreiundzwanzigjähriger mitten am Nachmittag im Bett machen, nachdem er eine Nase Crystal gezogen hat?
Und was, Peter Harris, machst du jetzt?
Das Anständige. Steh augenblicklich auf, geh laut aus deinem Zimmer und verkünde schläfrig und gähnend, dass du bis vor kurzem tief geschlafen hast. Gib dich überrascht, dass du Missy daheim antriffst.
Das Unmoralische. Steh auf und stehle dich leise davon, aus deinem Zimmer und aus dem Loft. Missy ist beschäftigt, er hört dich vermutlich nicht. (Hat er seine Schlafzimmertür geschlossen? Hm, nicht gehört.) Lauf eine Weile in der Umgebung herum, tu so, als kämst du zur üblichen Zeit nach Hause.
Das Unverschämte. Bleib, wo du bist, und hör weiter zu.
Richtig.
Finde dich damit ab, dass du wie viele Männer eine homoerotische Ader hast. Warum solltest du, warum sollte irgendjemand so hetero sein wollen?
Außerdem ist es … was? … phantastisch, okay, auf eine beschissene Art, aber dennoch ist es phantastisch, sich so in die Intimsphäre eines
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