In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Peter ist dabei, es zu werden -, um sich für diese Reisen zu begeistern. Die Hütte ist nicht mehr die Fundgrube für die vertrauten Wunder (die Betten sind noch immer mit Moskitonetzen verhüllt, sämtliche Brettspiele noch da!), sondern ein tristes und langweiliges Exil, eine ganze Woche voll der stillen Wut ihrer Mutter, weil sie so offenbar keinen Spaß haben, und der verbissenen Versuche ihres Vaters, für welchen zu sorgen, dazu Spinnen in den Badezimmern und kalte kleine Kräuselwellen, die an den Kiesstrand schwappen.
Diesen Sommer allerdings – Wunder über Wunder – darf Joanna für ein Wochenende mitkommen.
Im Nachhinein gibt es keine Erklärung für diesen Bruch mit der Harrisschen Tradition. Bis Matthew die Highschool abschloss, pflegten die Harris eine fast schon patriotische Hingabe an die von ihnen so genannte Zeit mit der Familie – sakrosankte Perioden einer vierköpfigen Isolation, auf der man umso eifriger bestand, je offenkundiger es wurde, dass niemand sie besonders genoss. Keiner von Matthews oder Peters Freunden wurde jemals eingeladen, zum Essen oder über Nacht zu bleiben, und deshalb war Joannas dreitägige Anwesenheit bei der alljährlichen Urlaubswoche auf Mackinac ein echtes Rätsel. Jetzt, als Erwachsener, vermutet Peter, dass ihre Eltern Matthews wahre Neigung erst spät begriffen und im letzten Moment unbedingt Eltern werden oder wenigstens darstellen wollten, deren gut aussehender und beliebter älterer Sohn ein Mädchen in Schwierigkeiten bringen konnte, wenn er nicht sorgfältig überwacht wurde, und natürlich konnte er nur sorgfältig überwacht werden, wenn das Mädchen tatsächlich zugegen war. Peter hatte ein Telefongespräch zwischen seiner und Joannas Mutter mitgehört, in dem seine Mutter der anderen versicherte, dass über Matthews und Joannas Unternehmungen genaue Rechenschaft abgelegt werden und Joanna in dem Zimmer neben ihrem schlafen würde.
War es möglich, dass diese beiden Frauen wirklich glaubten, es seien Vorsichtsmaßnahmen nötig?
Und warum machte sich allem Anschein nach niemand Gedanken über Peters Verhalten? Er war derjenige, der ohne Frage oder Zögern das Auge an den Riss in der Tür drücken würde, wenn Joanna im Badezimmer war, der an jedem zum Trocknen aufgehängten Badeanzug oder Handtuch schnuppern würde und der sich, wenn er den Mumm hätte (den er eindeutig nicht hatte), in die jungfräuliche kleine Schlafkammer neben dem Zimmer seiner Eltern schleichen und alles riskieren würde – Joannas Schreie, die Schmach seiner Eltern -, um einen kurzen Blick auf sie zu werfen, wenn sie schlief, nur zum Teil von einem mondgrauen Laken bedeckt.
Es war ein Fall von Personenverwechslung. Es war ein weiteres von offenbar unendlich vielen Rätseln.
Zu Peters Aufregung gibt es zu viel und zu wenig zu sagen. Er übergab sich zweimal aus Nervosität, einmal in den Tagen, bevor sie zu fünft nach Mackinac aufbrachen, und noch einmal (heimlich, hoffte er) unterwegs auf der Herrentoilette einer Tankstelle. Er spürte, wie sein Magen rumorte, übergab sich aber nicht, als sie zur Hütte kamen und Joanna inmitten ihres Dufts und anderer Ausstrahlungen ihrer Person in dem bis dahin vertrauten, mit knotigem Kiefernholz getäfelten Wohnzimmer stand und es nachhaltig und ewig werden ließ: seinen rauchgeschwärzten Steinkamin, das Sofa mit der geschwungenen Lehne und die teuflisch unbequemen Rattansessel, seinen untilgbaren Beigeschmack langen winterlichen Leerstands, seinen Geruch nach feuchtem Gras, Mottenkugeln und etwas, das Peter nie zuvor gerochen und seither nie wieder gerochen hat, eine wilde Ausdünstung, wie sie seiner Vorstellung nach dem Fell eines Waschbären anhaften muss.
»Das ist ja so süß«, sagt Joanna. Noch Jahrzehnte später könnte Peter schwören, dass sie in diesem tristen braunen Zimmer einen schwachen, duftenden rosigen Lichtschein ausstrahlte.
Ja, er hat fünf-, sechsmal am Tag masturbiert. Ja, er hat nicht nur an ihrem Bikinihöschen geschnuppert, das zum Trocknen über demVerandageländer hing (nicht viel Geruch, Seewasser und irgendetwas Sauberes, schwer Greifbares und vage Metallisches, wie ein Eisenzaun an einem Wintertag), sondern es auch mit der mulmigen Gleichgültigkeit eines Alkoholikers bei einer Dinnerparty über den Kopf gezogen. Ja, er hat gespürt, wie rundum das Leben aufplatzte, und ja, es gab Zeiten, in denen er wünschte, Joanna würde weggehen, weil er insgeheim ganz genau wusste – obwohl er es mit jeder Faser
Weitere Kostenlose Bücher