In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
an die schwache, aber beharrliche Hoffnung, dass der kürzeste Anblick von Joannas Nippel eine erotische Zukunft verhieße, die reichhaltiger und hinreißender wäre, als er es sich vorstellen konnte; er ist erregt (wie komisch ist das denn?) von des Todes geduldigem Verzehren der Lebenden und von der auf so süße Art resoluten Kellnerin gestern im Jojo und von der Fremdartigkeit dessen, wo er ist und wer er in diesem Moment zu sein scheint – das Wort »pervers« kommt einem in den Sinn, nicht wahr? (Große Überraschung, Fetischisten und ihresgleichen geht möglicherweise einer ab, weil sie Fetischisten sind; jedenfalls findet es Peter, ein Amateur, sexy, dass er etwas tut, wofür er sich eigentlich schämen sollte.) Deinetwegen schwul, mein Junge, allein auf der Welt, als wärst du ein Geschlecht für dich. Ein dunkles Kribbeln zieht sich durch Peters Blut, ein berauschender Schuss Verlegenheit – endlich etwas Verbotenes, etwas Verdorbenes und Falsches und aus genau diesem Grund bloß ein winziges bisschen tiefgehend -, und kurz darauf, als er das leise Stöhnen hört, das sicherlich bedeutet, dass Missy gekommen ist (Peter wird nicht kommen, er ist nicht so angetörnt oder kann es nicht zulassen), ist er für kurze Zeit furchtbar in Missy verliebt, in Missy persönlich und in die sterbende Welt, in das Mädchen mit der grünen Lederjacke, das vor dem Hai stand, in die drei Hexen, die ihn fressen wollen (woher ist das gekommen, Macbeth ?), und in Bea, als sie zwei oder vielleicht drei war, als sie eine Treppe hinuntergefallen und nicht verletzt, aber wirklich und wahrhaftig erschrocken war und er sie in die Arme nahm und ihr ins Ohr flüsterte, bis alles wieder gut war, bis er es besser gemacht hatte.
Nachtstadt
Danach wird Peter von einer Welle der Übelkeit erfasst – was genau hat er da getan und zu wem macht ihn das? Wie kann Missy, allein im Reich der Männer, ihn so erregen? Ist es möglich, wegen eines einzigen Mannes schwul zu sein?
Was ist mit ihm los? Ist sein ganzes verfluchtes Leben eine Lüge gewesen?
Trotzdem, mehr noch überrascht Peter, wie viel Zärtlichkeit er für Missy empfindet, wie seltsam besorgt er um ihn ist. Vielleicht sind es letzten Endes nicht so sehr die Tugenden von anderen, die uns das Herz zerreißen, als vielmehr das Gefühl eines fast unerträglich ergreifenden Wiedererkennens, wenn wir sie in ihrem Grundsätzlichsten sehen, mit ihren Sorgen, ihrer Völlerei und Torheit. Man braucht auch die Tugenden – manche -, aber Emma Bovary, Anna Karenina oder Raskolnikow gehen uns nicht deswegen nahe, weil sie gut sind. Sie gehen uns nahe, weil sie nicht bewundernswert sind, weil sie wir sind und weil große Schriftsteller ihnen verziehen haben.
Missy hat den Nachmittag im schicken Loft seiner Schwester zugebracht, sich zugedröhnt und einen runtergeholt. Und ja, für Peter ist das überzeugender als jede Entschlossenheit, in einem Berggarten zu sitzen und Steine zu betrachten. Jetzt kann er Missy lieben, jetzt, da er nicht mehr das Bedürfnis hat, ihn zu beschützen oder zu bewundern.
Es gibt (gab, es ist jetzt nach elf) ein etwas unangenehmes Zwischenspiel, als Rebecca heimkam, denn er musste so tun, als hätte er stundenlang tief und fest geschlafen, was voraussetzte, dass er eine Krankheit vortäuschen musste, die weitaus ernster war als die, an der er tatsächlich litt, was wiederum hieß, dass es zum Abendessen nur einen Teller Suppe gab und keinen Alkohol. (Übrigens, wird Trinken allmählich ein Problem, woher genau soll man das wissen?) Missy war eindeutig mehr als nur ein bisschen verlegen, aber wer wäre das nicht, wenn er erfährt, dass jemand die ganze Zeit da war, selbst wenn er keine Drogen gekauft und nicht masturbiert hätte … Peter gab, wie er hofft, die überzeugende Darstellung eines Mannes, dem ein Magenvirus derart zugesetzt hatte, dass er komatös war, weggetreten, sprichwörtlich tot, und sobald er von Rebecca wiederbelebt worden war, spielte er den Geist von Hamlets Vater, völlig tattrig und hinfällig, muss die Mayo an dem Truthahn-Wrap gewesen sein, ja, er lässt Uta morgen gleich dort anrufen, jetzt gibt es nur noch eine Tasse Brühe für den armen alten Kerl, und dann wieder ab ins Bett, um halb neun, wo er weiter das große Elend markiert (es geht ihm übrigens wieder bestens, die Verdauungsstörungen sind zu der gewöhnlichen, anhaltenden leichten Übelkeit abgeklungen), während er sich alte Folgen von Lost anschaut. Als er das Zimmer
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