In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

leugnete -, dass er nie mehr als das hier von ihr haben würde, dass er ein kleiner Junge mit einem Bikinihöschen über dem Kopf war und immer bleiben würde und dass diese Tage mit Joanna, so berauschend sie auch waren, zugleich der Anfang einer lebenslangen, permanenten Enttäuschung sein würden. Irgendein Gott hatte es für angebracht gehalten, ihm das, was er unter Glückseligkeit verstand, ganz nahe zu bringen (Joanna, die vorsichtig, aber mit echtem Appetit – sie war nicht zimperlich – in einen Cheeseburger beißt; Joanna, die in abgeschnittenen Jeans und einem weißen Tanktop auf der Verandatreppe sitzt und ihre Fußnägel rosa lackiert; Joanna, die wie jede Sterbliche über eine alte Folge von I Love Lucy in dem altersschwachen Schwarzweißfernseher lacht), nur um ihm zu zeigen, was er immer wollen und nie kriegen würde.
    Er wird Joanna sein ganzes Leben lang lieben, doch mit der Zeit wird er sie erhöhen, ersetzen und neu erfinden, so dass er sie, als er Matthews Sachen in Milwaukee durchgeht und sein altes Jahrbuch findet, auf ihrem Abschlussfoto zunächst nicht erkennt – eine freundlich wirkende, rundgesichtige und herkömmliche Schönheit aus dem Mittelwesten mit zauberhaft vollen Lippen, aber ziemlich schmalen Augen, glänzenden und üppigen Haaren, die ihr ins Gesicht hängen und die Stirn und das rechte Auge verdecken, eine Mode der Zeit, die klugerweise vor Jahrzehnten aufgegeben wurde. Das ist nicht die Frau aus dem See, nicht einmal annähernd, und einen Moment lang wird Peter glauben, dass Joannas Foto aus Versehen mit einem anderen vertauscht wurde, dem Bild eines kräftigen, zuverlässigen Mädchens aus Milwaukee, dem es bestimmt ist (wie es Joanna dann auch tut), einen gut aussehenden, schwerfälligen Jungen zu heiraten, den sie am Juniorcollege kennenlernt, kurz hintereinander drei Kinder zu bekommen und einigermaßen ruhig und glücklich in einer so genannten Plansiedlung zu wohnen.
    Er wird sich auf seinem Sterbebett (oder, genauer gesagt, auf dem Gehsteig, auf dem er zusammenbrechen wird, wenn sein Herz implodiert) lebhaft an die folgende Episode an einem trägen Samstagnachmittag erinnern.
    Er, Matthew und Joanna sind zum Strand gegangen – wohin sollten sie sonst gehen? -, und Peter sitzt im grobkörnigen Sand, während Matthew und Joanna ziellos in das seichte Wasser des Sees waten und leise, aber in dringlich klingendem Tonfall miteinander sprechen. Joannas rundlicher, halb vom V ihres zuckermelonenfarbenen Bikinihöschens bedeckter Hintern veranschaulicht das Konzept der Begierde. Matthew ist stramm und muskulös vom Schlittschuhlaufen, seine dunkelblonden Haare ringeln sich fast bis in den Nacken. Die beiden stehen im blau-schwarzen Wasser, haben Peter den Rücken zugekehrt und blicken auf den milchigen Dunst am Horizont, und als Peter sie vom Sand aus betrachtet, wird er von einer völlig unerwarteten Gefühlswallung erfasst, die in seinen Eingeweiden anfängt und sich im ganzen Körper ausbreitet, schwindelerregend, atemberaubend. Es ist nicht Lust, nicht unbedingt Lust, obwohl Lust dabei ist. Es ist das pure, überwältigende und leicht erschreckende Begreifen dessen, was er später Schönheit nennen wird, auch wenn das Wort unzureichend ist. Es ist die kribbelnde Ahnung göttlicher Präsenz, der unbeschreiblichen Perfektion von allem, was es jetzt gibt und in Zukunft geben wird, verkörpert von Joanna und seinem Bruder (es lässt sich nicht leugnen, dass sein Bruder ein Teil davon ist), die unter einem fahlen grauen Himmel, aus dem bald ein Regenschauer niedergehen wird, knöcheltief im Seewasser stehen. Die Zeit setzt aus. Aus Joanna und Matthew, dem See und dem Himmel entspringt die sinnliche Erinnerung an den Badeanzug, den Joanna im Moment trägt, samt dem Geruch nach Balsamtanne, den Peter derzeit in der Nase hat, an die hilflose Begeisterung ihres Vaters und die unbändige Wachsamkeit ihrer Mutter und wie sie beide altern und dahinwelken (er verbittert, sie besänftigt, befreit, weil sie immer weniger zu verlieren hat), an Emily, die Peter unter der Tribüne kommen lässt, und an sein Flirten mit der gerissenen, rothaarigen Carol, die bis kurz vor dem Abschluss seine Freundin sein wird, an die Schuluhr, die unter dem zwielichtigen Himmel leuchtet wie der Erntemond, an die nach Puder duftende Klimaanlage der Harris Pharmacy und mehr und mehr und mehr. Matthew und Joanna sind an einem drögen Samstagnachmittag in den Michigansee gewatet und haben die weite, wundersame