In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Welt heraufbeschworen. Im nächsten Moment werden sich beide umdrehen, zum Strand zurücklaufen und sich neben Peter setzen. Joanna wird ihre Haare mit einem weichen Gummi zurückbinden, Matthew wird eine Blase an seinem linken Fuß untersuchen. Das Hier und Jetzt wird sich wieder einstellen, obwohl Peter behutsam eine Hand in Matthews Nacken legen wird, und Matthew wird seinen Fuß loslassen und Peters rechtes Knie drücken, als verstünde er (wie er es nicht verstanden haben konnte), dass Peter eine Vision gehabt hat. Peter wird nie ganz begreifen, warum sich die Welt in diesem gewöhnlichen Moment entschieden hat, sich ihm kurz, flüchtig zu offenbaren, aber er wird es mit Matthew und Joanna in Verbindung bringen, einem verzauberten Paar, mythisch, perfekt, ewig und keusch wie Dante und Beatrice.
Peter hat über eine halbe Stunde in seinem verdunkelten Schlafzimmer gelegen, was nach einem zweistündigen Schlaf unverschämt ist. Er sollte wieder in die Galerie zurück. Doch er scheint in eine Art Halblähmung gefallen zu sein, in etwas Schneewittchenhaftes, eine Art Wachschlaf, und wartet auf… der erste Kuss der wahren Liebe richtet in dieser Situation nicht viel aus, oder?
Er hört Missy im Wohnzimmer herumlaufen.
Er ist kein Narr. Er weiß, dass Missy in gewisser Weise sein wiederauferstandener Bruder ist.
Das Komische dabei ist, dass es keinen großen Unterschied macht, wenn man es weiß. Das hat er in jahrelanger Psychoanalyse gelernt. Okay. Du kannst anmaßend sein, weil du unsicher bist, und du bist unsicher, weil die Eltern deinen älteren Bruder vorgezogen haben. Du liebst deine Frau aus vielen Gründen, unter anderem wegen ihrer Ähnlichkeit (die du in deiner Phantasie übertreibst) mit dem unerreichbaren Mädchen deiner Jugend, die deinen älteren Bruder vorgezogen hat, und du (schäm dich) liebst sie jetzt, da sie nicht mehr dieses Mädchen ist, ein kleines bisschen weniger. Du wirst (erotisch?) zu ihrem Bruder hingezogen, weil er dich einerseits an Matthew erinnert und es dir zum anderen erlaubt, zum ersten Mal in deinem Leben Matthew zu sein .
All das sind nützliche Erkenntnisse. Was nun?
Während er hier im Bett liegt, stellt er fest, dass er an Dan Weissman denkt, den Peter nur dieses eine Mal gesehen hat, in Matthews Krankenhauszimmer (Matthews Leichnam wurde zur Beerdigung nach Milwaukee überführt, Dan war nicht bei der Trauerfeier, Peter konnte es nicht über sich bringen, seine Eltern zu fragen, ob sie ihn eingeladen hatten oder nicht). Dan, der ein gutes Jahr nach Matthew starb. Dessen ganzes Leben, soweit es Peter angeht, diesen zwanzig Minuten im Jahr 1985 im St. Vincent’s gewidmet war, als er Peter half, sich zu verabschieden.
Durch die Wand hört Peter, wie Missy in die Küche geht. Vermutlich weiß er nicht, dass Peter hier ist. Wie sollte er auch? Es hat etwas unterschwellig Köstliches, nicht wahrgenommen zu werden, und besser noch, sich ohne jede Schuld zu verstecken. Wenn er entdeckt wird, kann er Missy einfach die Wahrheit sagen. Ihm ist schlecht geworden, er ist nach Hause gekommen, um sich hinzulegen.
Missy kehrt ins Wohnzimmer zurück. Die Wände, die keine statische Funktion haben, sind dünn. Peter kann so ziemlich alles hören.Was natürlich teilweise dazu beitrug, Bea, die elf war, als sie herzogen, in den Wahnsinn zu treiben. Was genau war in sie gefahren, dass sie dachten, in so großer Nähe mit ihren Eltern zu leben wäre gut für eine Jugendliche? Na ja, okay. Das Loft war ein so unglaubliches Schnäppchen, dass es verrückt gewesen wäre, es sich entgehen zu lassen. Und richtig, seinerzeit hatten sie nicht das Geld, um dickere Wände einziehen zu lassen.
Ein kurzes stilles Zwischenspiel – Missy hat sich vermutlich aufs Sofa gesetzt. Und dann, leise, seine Stimme. Er ruft mit seinem Handy jemanden an.
Peter sollte natürlich nicht zuhören. Er sollte jetzt aufstehen und Missy wissen lassen, dass er hier ist. Doch die Versuchung ist zu groß. Und im Zeitalter von Handys sind alle Gespräche öffentlich, nicht wahr? Außerdem kann Peter jederzeit so tun, als hätte er geschlafen.
Missys Stimme ist kaum verständlich.
»Hey. Ich bin’s, Ethan.«
»Yeah, ich irgendwas irgendwas .«
»Eine Weile, ich bin mir nicht sicher. Yeah.«
»Irgendwie, bloß ein Gramm? Ich bin im Moment nicht so irgendwas .«
»Okay. Klasse.«
»Mercer Street. Irgendwas irgendwas . Ecke Broome.«
»Klasse. Bis gleich.«
Okay. Er nimmt also wieder Drogen.
Was nun,
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