In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
eine Nacht, Rebeccas tiefe Enttäuschung und ihren Kummer aufschieben will, die hektischen Anrufe bei Rose und Julie, die Fragen, was man Peters Meinung nach tun sollte, und die Wahrscheinlichkeit, dass seine Meinung, wie auch immer sie lautet, als zu hart oder zu nachsichtig erachtet werden wird, weil er in Bezug auf Missy nicht recht haben kann, niemals, denn er ist kein Mitglied der Gemeinde.
Peter nickt ein, wacht wieder auf. Traumfetzen lösen sich auf: Er hat ein geheimes Haus in München ( München? ), irgendein Arzt hat dort eine Nachricht hinterlassen. Dann ist er wieder ganz bei sich, es ist sein Schlafzimmer, Rebecca schläft neben ihm.
Und jetzt, dreiundzwanzig Minuten nach Mitternacht, ist er völlig, hoffnungslos wach.
Er spürt, so wie manchmal, wie bestimmt die meisten Menschen, eine Präsenz im Zimmer, die er nur für seine und Rebeccas lebende Geister halten kann, ein Gemisch aus ihren Träumen und ihrem Atem, ihren Gerüchen. Er glaubt nicht an Geister, aber er glaubt an … etwas. Etwas Existenzfähiges, etwas Lebendes, das überrascht ist, wenn er um diese Zeit aufwacht, das weder froh noch betrübt ist, ihn wach zu sehen, sondern es einfach wahrnimmt, weil es in seinem unausgegorenen nächtlichen Nachsinnen gestört worden ist.
Zeit für einen Wodka und eine Schlaftablette.
Er steigt aus dem Bett. Rebecca macht diese Schlafbewegung, dieses fast unmerkliche, aber dennoch erkennbare In-sich-Zurückziehen, das leichte Flattern der Finger, das Zucken ihres Mundes, wodurch er weiß, dass ihr, obwohl er sie nicht geweckt hat, irgendwie im Schlaf klar ist, dass er ihr Bett verlässt.
Er verlässt das Schlafzimmer. Er ist schon mitten im Wohnzimmer, bevor er es sieht: Missy, der nackt in der Küche steht und aus dem Fenster schaut.
Missy dreht sich um. Er hat Peter kommen gehört. Er steht aufrecht auf beiden Beinen, lässt die Arme herabhängen, und Peter denkt kurz an den Visible Man, das durchsichtige Plastikmodell mit den farbigen inneren Organen, das er mit zehn liebevoll gebastelt hat und das seinem zehnjährigen Verstand so vorkam, als wäre es vom Göttlichen berührt. Es kam ihm so vor, als könnten Engel so aussehen, vergiss die Gewänder und die wallenden Haare, ein Engel wäre makellos transparent, ein Engel würde vor einem stehen wie der Visible Man, so wie jetzt Missy, und sich darbieten, weder beschwörend noch reserviert, einfach präsent und nackt und real.
»Hey«, sagt Missy leise.
»Hey«, antwortet Peter. Er geht weiter auf ihn zu. Missy ist so reglos und unerschrocken wie ein Aktmodell in einem Zeichenkursus.
Okay, das ist seltsam, nicht wahr? Peter geht weiter, was kann er sonst tun? Aber irgendetwas geht vor sich, stimmt’s? Da ist dieses Gefühl (kann nicht sein, aber nichtsdestotrotz), dass Missy auf ihn gewartet hat.
Peter kommt zur Küche. Missy steht in der Mitte, aber es ist so viel Platz, dass Peter an ihm vorbeigehen kann, wenn auch nur knapp, ohne ihn zu berühren oder sich darum bemühen zu müssen, eine Berührung zu vermeiden. Er lässt sich an der Spüle ein Glas Wasser ein, weil er etwas tun muss.
»Wie geht’s?«, fragt Missy.
»Besser. Danke.«
»Kannst du nicht schlafen?«
»Nein. Du auch nicht?«
»Nein.«
»Ich habe Klonopin im Badezimmer. Ich bin, offen gesagt, ein großer Fan von Wodka und Klonopin um diese Zeit.Willst du eine? Ich meine, willst du beides?«
Ups, Moment, er hat gerade einem Abhängigen Drogen angeboten.
»Wirst du es ihr erzählen?«, fragt Missy.
»Was erzählen?«
Missy antwortet nicht. Peter tritt zurück, trinkt einen Schluck Leitungswasser und mustert diesen nackten Jungen, der in seiner Küche steht – die maßvollen Aderstränge, je einer, die träge jeden Bizeps umspannen, die haarlose, hellrosa Leistengegend und das Ding selbst, das aus einem Büschel kastanienbraunem Schamhaar ragt, beachtlich, groß genug, aber nicht pornographisch riesig, die Spitze im schummrigen Licht leicht lila. Hier sind die sehnigen jungen Beine, die mühelos einen Berg hinaufrennen können, und hier sind die erstaunlich breiten, leicht bärenhaften Füße.
Was erzählen?
Missy ist so vernünftig, Stille einkehren zu lassen, und Peter hat weder das Geschick noch die Lust, nach ein paar Sekunden Schweigen Ahnungslosigkeit vorzuschützen. Er hat, ehrlich gesagt, nicht die Kraft dazu.
»Ich glaube, das muss ich«, sagt er.
»Ich wünschte, du würdest es nicht tun.«
»Natürlich.«
»Nicht meinetwegen. Nicht nur. Das weißt
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