In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
du genauso gut wie ich. Meine Schwestern drehen durch, und es ändert überhaupt nichts.«
»Wann hast du wieder angefangen?«
»In Kopenhagen.«
Vergiss vorerst das unfassbare Privileg dieses Jungen, dessen Eltern ihm weiter Schecks schicken, der auf dem Rückweg aus Japan locker in Kopenhagen Zwischenstation macht. Versuche ihn nicht dafür zu hassen.
»Wäre das Wort ›warum‹ völlig absurd?«, sagt Peter.
Missy seufzt, ein süßer, zungenartiger Laut, dem besonders kräftigen Seufzer nicht unähnlich, den Matthew vor so vielen Jahren perfektioniert hat.
»Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt nur einfach keine Antwort darauf.«
»Möchtest du, dass dir jemand hilft, es wieder aufzugeben?«
»Darf ich ehrlich zu dir sein?«
»Auf jeden Fall.«
»Nicht gleich. Bald.« Er hebt die Hände und legt die hohlen Teller an sein Gesicht, als wolle er Wasser daraus trinken. Er sagt: »Es ist immer so lächerlich, zu jemandem, der nie etwas genommen hat, zu sagen, das kannst du nicht verstehen.«
Peter zögert. »Lächerlich« trifft es am allerwenigsten. Wie wäre es mit unverschämt, beleidigend? Wie wäre es mit der Schlussfolgerung, dass »jemand, der noch nie etwas genommen hat«, eine traurige kleine Gestalt ist, die vernünftig gekleidet am Gehsteig steht, wenn der Bus hält? Selbst jetzt, nach all diesen Anzeigenkampagnen, nachdem wir alle gelernt haben, wie schlimm es wirklich und wahrhaftig wird, gibt es immer noch diesen Glamour der Selbstzerstörung, unvergänglich, edelsteinhart, wie ein verfluchter, uralter Talisman, der mit keinerlei bekannten Mitteln zerstört werden kann. Dennoch, dennoch können diejenigen, die untergehen, so wirken, als wären sie komplizierter, gefährlicher, im Gleichklang mit der Traurigkeit und, ja, der unglaublichen Größe. Sie sind romantisch, Gott verdamme sie; wir fahren auf die Nüchternen und Vernünftigen einfach nicht genauso ab, auf die verbissenen Leistungsträger, trotz all des Guten, was sie tun. Wir bewundern sie nicht mit jener auserlesenen Verachtung, die wir für Abhängige und Missetäter aufbringen. Es hilft natürlich – lassen wir uns nicht hinreißen -, wenn man wie Missy ein junger Prinz ist und überhaupt etwas Wertvolles hat, das zerstört werden kann.
Ist es ein Wunder, dass die Taylors sich so zwanghaft mit diesem Jungen beschäftigen? Was wären sie ohne ihn? Ein alternder Akademiker, der zwei nicht weiter bemerkenswerte Bücher veröffentlicht hat (die Entwicklung des Dithyrambos zur Rhetorik, einige bislang übersehene Andeutungen der klassischen griechischen Kultur in Mykene), eine Frau, die allmählich harmlos verschroben wird (auf Trödel und Recycling fixiert und zugleich völlig gleichgültig, was den versifften Haushalt angeht), und drei bezaubernde Töchter, denen es mal mehr, mal weniger gut geht (Rebecca), auf eine leicht verdächtige Art und Weise zu gut (Julie) und weder gut noch schlecht (Rose).
Peter sagt zu Missy: »Mit so einer Aussage kann ich wirklich nicht viel anfangen.«
Und übrigens, was ist, wenn Rebecca in diesem Moment aus dem Schlafzimmer kommt? Du verstehst doch, dass mir nichts weiter übrig bleibt, als ihr alles zu erzählen. Und dass es merkwürdig aussehen würde, wenn du so nackt hier stehst, egal, was ich ihr erzählt habe.
Hat Rebecca nicht mal gesagt: Ich habe den Verdacht, dass Missy zu so gut wie allem fähig ist? Hat sie es nicht mit einer bestimmten Mischung aus Ärger und Verehrung gesagt?
»Ich weiß«, antwortet Missy. »Okay.«
Okay?
Missy legt die Fingerspitzen an beide Seiten seiner Kinnlade. Kirchlich. Der junge Suchende kommt, um seine Unwürdigkeit zu erklären.
Er sagt: »Ich bekomme langsam das Gefühl, dass die Welt … einfach ohne mich weitergeht. Und, weißt du, warum auch nicht? Aber ich habe. Keine Ahnung, was ich machen soll. Ich dachte so lange, wenn ich einfach nein zu all den, na ja, schlechten Ideen sage, wie dem Jurastudium, dass die gute Idee einfach irgendwie daherkommt. Und allmählich sehe ich ein, dass traurige alteVersager genau so anfangen. Ich meine, erst bist du ein schnuckeliger junger Versager, und dann …«
Er lacht, ein langes, leise schluchzendes Lachen.
Peter sagt:»Die Verzweiflung kommt mir verfrüht vor.«
»Ich weiß. Ich weiß das. Aber es ist eine schlechte Zeit für mich. Ich bin in diesem Heiligtum in eine, ich weiß nicht, eine Art Loch gefallen, es war genau das, was nicht passieren sollte. Ich … hatte das Gefühl, dass ich anfange, die
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