In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Vergänglichkeit aller Dinge zu sehen, die ruhige Leere in der Mitte der Welt, aber es war nicht tröstlich. Ich wollte mich am liebsten umbringen.«
Wieder das schluchzende Lachen.
»Das wäre übertrieben«, sagt Peter. Scheiße, da ist er wieder, dieser Wunsch, taff und mitfühlend sein zu wollen, und was herauskommt, klingt schnippisch und hartherzig.
»Ich will nicht melodramatisch werden«, sagt Missy.»Ich will Folgendes sagen. Ich muss aufpassen. Ich kann mir nicht einreden, dass ich zu einem besseren Heiligtum gehen muss oder zu einem Heiligtum in einem anderen Land. Ich mache mir keine Illusionen mehr. Ich brauche im Moment ein bisschen Hilfe, um klarzukommen. Ich bin nicht stolz darauf. Wenn es mir eine Weile gut geht, wenn ich morgens aufstehen und in die Gänge kommen kann, wenn du mir möglicherweise helfen kannst, einen Job zu kriegen, höre ich auf. Ich habe schon früher aufgehört. Ich weiß, dass ich es kann.«
»Du bringst mich in eine unmögliche Situation.«
»Ich bitte dich um ein bisschen Hilfe. Ich weiß, ich weiß , aber es ist ein bisschen zu spät, um das zu ändern, und wirklich, wirklich und wahrhaftig, ich brauche ungefähr zwei Monate Zeit. Ich brauche zwei Monate, in denen es mir gut geht, damit ich ein eigenes Leben anfangen kann. Und, na ja. Du weißt ja, was passiert, wenn du es Rebecca erzählst.«
Er weiß es.
»Versprichst du mir, dass du dir nichts mehr hierherbringen lässt?«, sagt er.
»Absolut.«
Yeah, richtig.
»Ich sage nicht ja. Ich sage, ich denke darüber nach.«
»Das reicht mir schon. Danke.«
Damit beugt er sich vor und küsst Peter behutsam, zumindest halbkeusch, auf die Lippen.
Holla.
Missy zieht sich zurück, bietet ein reizendes, verschämtes Lächeln dar, das jahrelang geübt sein muss.
»Sorry«, sagt er. »Meine Freunde und ich küssen uns immer, ich habe damit nichts gemeint.«
»Schon kapiert.«
Und dennoch. Bietet sich Missy an?
Peter holt die Stoli-Flasche aus dem Eisfach, gießt jedem von ihnen ein. Was zum Teufel. Dann geht er ins Badezimmer, um die Klonopin zu holen. Missy weiß, dass er in der Küche warten soll. Als Peter mit einer kleinen blauen Pille für jeden zurückkehrt, sagen sie »Cin cin« und spülen die Tabletten mit dem Wodka hinunter.
Das hier hat etwas Erregendes. Peter will keineswegs Sex mit Missy, aber es hat etwas Elektrisierendes, sich mit einem anderen Mann, der zufällig nackt ist, einen Wodka hinter die Binde zu kippen. Da ist die heimliche Brüderlichkeit des Ganzen, das Umkleideraumartige, ein leises, maskulines, erotisiertes Liebessummen, bei dem es weniger um das Fleisch als um das Gemeinschaftsgefühl geht. Du, Peter, sosehr du deiner Frau auch zugetan bist, so voll und ganz du ihre sehr realen Sorgen wegen Missy verstehst, verstehst auch Missys Wunsch, seinen eigenen Weg gehen zu wollen, dem Mahlstrom weiblicher Inbrunst zu entrinnen, diesem entschieden femininen Ansatz, dass du geheilt werden wirst , ob du willst oder nicht.
Männer bilden eine eigene Gemeinschaft, vielleicht ist es so einfach.
Und okay, einen Moment lang, nur einen Moment, stellt sich Peter vor, dass auch er ein Rodin sein könnte, natürlich nicht der Junge vom Ehernen Zeitalter , aber auch kein Bürger von Calais ; er könnte ein unentdeckter Rodin sein, der Alternde, aber Ungebeugte, eine Gestalt von strenger Würde, die unerschütterlich dasteht, waffenlos, mit bloßer Brust (seine Brust ist noch immer muskulös, der Bauch nicht schlecht), mit einem Schurz um die Lenden, wie es sich für einen in die Jahre gekommenen Gentleman gehört (der sich wegen dem Zustand seines Arsches nicht verrückt machen lässt).
»Nochmals danke«, sagt Missy. »Dass du drüber nachdenkst.«
»Mm.«
»Nacht.«
»Gute Nacht.«
Missy zieht sich in sein Zimmer zurück. Peter schaut ihm hinterher, auf seinen geschmeidigen Rücken und die kleinen perfekten Kugeln seines Arsches. Wenn Peter etwas Schwules in sich hat, dann geht es vermutlich hauptsächlich um den Arsch, die Stelle, an der ein Mann am verletzlichsten ist, am kindlichsten, die Stelle, an der seine Physiognomie am wenigsten für einen Kampf gebaut ist.
Nur zu. Sag es lautlos, in Gedanken. Hübscher Arsch, kleiner Bruder.
Und jetzt, du armer Kerl, ab ins Bett.
Der Schlaf jedoch will sich nicht einstellen. Nach einer vollen Stunde steigt er aus dem Bett, tastet nach seiner Kleidung. Rebecca regt sich.
»Peter?«
»Scht. Alles okay.«
»Was machst du?«
»Mir geht’s
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