Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
Vom Netzwerk:
kann ich tun?«
    Bitte, Bea, vergib mir entweder oder putz mich herunter. Ich halte dieses Gespräch nicht mehr aus.
    Du musst dieses Gespräch aber führen. So lange sie dich darum bittet.
    Sie sagt: »Du kannst furchtbar gut sehen, aber ich bin mir nicht sicher, wie gut du hören kannst.«
    Das hat sie sich aufgehoben, nicht wahr?
    Er ist jetzt im Financial District, der Welt der Gebäude, bei denen man nicht wissen kann – die eigentliche Börse ausgenommen -, was in ihnen vorgeht, außer natürlich, dass alles Irgendetwas mit Finanzen zu tun hat, wie bei Missy, der Irgendetwas mit Kunst machen will; es ist die Wirkung, die diese Zitadellen haben, ob es das New Museum ist oder dieser titanische, vage an die siebziger Jahre erinnernde Monolith, an dem er jetzt vorbeigeht, die absichtliche Unergründlichkeit, diese festungsartigen Höhen – was würde die Jungen und Verlorenen nicht dazu bringen, zu ihren Füßen zu stehen und zu denken: Ich würde gern Irgendetwas da Drin machen?
    Missy hat vor heiligen Steinen gesessen. Jetzt möchte er an etwas teilhaben, das ihn anerkennt.
    »Jetzt höre ich zu«, sagt er. »Ich bin hier. Rede mit mir.«
    Bea sagt: »Mir geht’s gut, Daddy. Ich bin kein hoffnungsloser Fall. Ich habe einen Job und eine Wohnung.«
    Hat sie nicht immer darauf bestanden, selbst als kleines Mädchen, dass es ihr gut gehe? Ist sie nicht immer, ohne zu klagen, zur Schule gegangen, hatte ihre zwei, drei Freundinnen und lebte trotz der durchlässigen Wände ihres Zimmers ganz für sich?
    Waren er und Rebecca nicht erleichtert, weil sie so wenig zu brauchen schien?
    Er sagt: »Das ist schon etwas, nicht wahr?«
    »Ja. Das ist etwas.«
    Danach Schweigen.
    Herrgott, Bea. Wie schuldbewusst soll ich denn noch sein?
    Und jetzt, endlich, kommt Peter zum Battery Park. Links ist das arktische Leuchten der Staten Island Ferry, da vorne sind die hohen Säulen aus schwarzem Granit, auf denen die Namen der Kriegstoten stehen. Er läuft den breiten Gang entlang, der von den Ehrenmälern gebildet wird. Moby Dick fängt im Battery Park an, zuerst heißt es »Nennt mich Ismael«, und dann – man kann sich über eine vage Nacherzählung hinaus unmöglich erinnern – kommt ein Abschnitt über diese von Wogen attackierte Mole , das ist es nicht, aber er kann sich erinnern, dass das Land als Mole bezeichnet wird. Da vorne ist es, das schwarze Brodeln des Hafens, von Licht benetzt, er kann ihn mit einem Mal riechen, und klar, es ist städtischer Meeresgeruch, Salzwasser vermischt mit Öl, aber nichtsdestotrotz erregend, diese ewige, mütterliche Wildheit, denn auch wenn es verdorben ist durch den Mist, der in dieses spezielle Meerwasser gekippt wird, bleibt es Meerwasser, und dieser Landfinger, diese Mole , ist der einzige Berührungspunkt der Stadt mit etwas Größerem und Mächtigerem als sie selbst.
    »Vermutlich weißt du selbst am besten, was gut für dich ist«, sagt er. Kann sie ihm seine Ungeduld am Tonfall anhören?
    Peter steht am Geländer. Da ist alles: Ellis Island und Miss Liberty persönlich, diese grünspanige Erscheinung so voller Bedeutung, dass sie die Bedeutung überwunden hat. Du liebst (wenn du irgendetwas an ihr liebst) ihr Grün und ihre Unveränderlichkeit, die Tatsache, dass sie immer noch da ist, obwohl du sie seit Jahren nicht gesehen hast. Peter steht an dem dunklen, mit glitzernden Sprenkeln übersäten Wasser, das in Hubbeln anrollt – keine Wellen, nur wogendes Wasser, das sich mit einem tiefen Schwumm am Damm bricht und maßvolle Tiaren aus Gischt aufwirft.
    Bea antwortet nicht. Weint sie? Wenn ja, kann er es nicht hören.
    Er sagt: »Warum kommst du nicht eine Weile heim, Baby?«
    »Ich bin daheim.«
    Er steht am Geländer, wo sich der schwarze Ozean zu seinen Füßen aufwirft und die kleinen Weihnachtslichter von Staten Island am Horizont entlangziehen, als wären sie dort angebracht worden, um die Grenze zwischen dem dunklen, undurchsichtigen Meer und dem dunklen, sternenlosen Himmel aufzuzeigen.
    »Ich liebe dich«, sagt er hilflos. Er hat nichts Hilfreicheres.
    »Gute Nacht, Daddy.«
    Sie legt auf.

Ein Objekt von unschätzbarem Wert
     
    Als Peter am nächsten Morgen aufwacht, ist er allein im Bett. Rebecca ist bereits auf. Er steht schlafverschmiert auf, schlüpft in die Pyjamahose, die er für gewöhnlich nicht trägt, aber er will nicht nackt dort hinausgehen, falls Missy da ist (egal, wie es Missy diesbezüglich hält).
    In der Küche hat Rebecca gerade eine Kanne Kaffee

Weitere Kostenlose Bücher