In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
ich hinterlasse einfach eine kleine Liebesnachricht für dich.«
»Warum heute Nacht?«
Er läuft die Bowery entlang auf die namenlose Zeile zu, die nicht ganz Chinatown und auch nicht Little Italy ist.
»Ich könnte in jeder Nacht anrufen«, sagt er. »Ich nehme an, ich musste heute Nacht an dich denken.«
Nein, du denkst immer an sie. Warum fühlt sich dieses Gespräch wie eine Verabredung an, die nicht gut läuft?
»Du bist spät auf«, sagt sie. »Bist du draußen? Es klingt, als ob du draußen bist.«
»Ja, ich konnte nicht schlafen, ich gehe spazieren.«
Wo er jetzt läuft, gibt es nur Lagerhäuser und geschlossene, verkommene Läden, fahle Straßenlaternen, die auf holprige Pflastersteine herabscheinen, so still, dass er eine Ratte in einer Papiertüte auf dem Gehsteig herumstöbern hört; unsere eigene Nachtstadt … nein, wir haben keine Nachtstadt, der echte Schmutz, die Transinutten und die ernsthaften Drogendealer (nicht diese traurigen Typen mit ihrem X, Koks, Dope? , an denen man in den Parks vorbeikommt) wurden vertrieben, von Giuliani, von den Reichen; in New York gibt es immer noch trostlose Gegenden, aber man ist nur noch selten in echter Gefahr, niemand verkauft in diesem ausgeweideten Gebäude da drüben Heroin, keine verunstaltete Schönheit mit weggetretenem Blick bietet dir an, dir für einen Zwanziger einen zu blasen. Das hier ist keine Nachtstadt und du, Sir, bist nicht Leopold Bloom.
»Wir leiden beide unter Schlaflosigkeit«, sagt sie. »Das habe ich von dir.«
Meint sie das als Zeichen der Verbundenheit oder als Fluch?
»Ich frage mich, warum du mich heute Nacht anrufst«, fügt sie hinzu.
Ach, Bea, sei ein bisschen nachsichtig, ich bin bußfertig, ich habe kein Geld, ich bin dir ausgeliefert. Die verlotterte Trostlosigkeit, durch die Peter läuft, geht ziemlich schnell in die Randgebiete von Chinatown über, Manhattans einzigen florierenden Nationalstaat, den einzigen, der ohne die Hilfe von Kaffeehäusern und coolen kleinen Bars wächst.
»Ich hab’s dir doch erklärt«, sagt er. »Ich habe an dich gedacht. Ich wollte eine Nachricht hinterlassen.«
»Bist du wegen irgendwas aufgebracht?«
»Nicht mehr als üblich.«
»Weil du klingst, als wärst du wegen irgendwas aufgebracht.«
Peter kämpft gegen den Drang an, einfach aufzulegen. Wer hat mehr Macht als ein Kind? Sie kann so grausam sein, wie sie will. Er nicht. Dennoch laufen die Impulse Amok: Du bist unscheinbar, du bist nicht besonders helle, du bist eine Enttäuschung . Er kann es nicht. Niemals.
»Ich rege mich bloß über die üblichen Sachen auf. Geld und das Ende der Welt.«
Er darf ihr gegenüber nicht flapsig werden, seinen verführerischen Esprit nicht einmal anklingen lassen. Er redet mit seiner Tochter .
Sie sagt: »Brauchst du einen Scheck von mir?«
Es dauert einen Moment, bis ihm klar wird, dass sie scherzt. Er lacht schnaubend. Falls sie auch lacht, kann er es wegen des Verkehrs nicht hören.
Er überquert jetzt die Canal Street, begibt sich in die grelle Neonfluoreszenz des eigentlichen Chinatown, lauter knallige Rot- und Gelbtöne; es ist, als wäre Blau hier überhaupt nicht im Spektrum. Sie schalten nie die Lichter aus, sie nehmen die aufgehängten langhalsigen Bratenten nicht aus den Schaufenstern; es ist, als besäße Chinatown ein fortwährendes, unauslöschliches Eigenleben, ob es nun bevölkert ist oder nicht. Eine gelbe Reklame lautet GOOD, nur das, und bietet zum Beweis ein trübes Aquarium voller träger, schlammbrauner Welse dar.
»Und okay«, sagt er, »der Bruder deiner Mutter ist irgendwie eine starke Dosis.«
»Ach, richtig, Dizzy. Er ist ein verzogenes Balg.«
»Das ist er.«
»Also hast du dir gedacht, es wäre eine schöne Abwechslung, wenn du mit deiner glücklichen, angepassten Tochter sprichst.«
Bitte, Bea. Bitte sei gnädig.
Kinder sind das nicht. Oder? Warst du, Peter, gnädig zu deinen Eltern?
Nicht einmal er nimmt sich das leise Glucksen ab, das er sich abringt. »Ich würde nie etwas so Unmögliches wie glücklich oder angepasst von dir verlangen«, sagt er.
»Dann ist es dir also ein Trost, wenn du mich für unglücklich hältst.«
Was ist bloß los mit dir?
»Wie geht’s Claire?« Die Zimmergenossin.
»Sie ist ausgegangen. Ich bin allein mit den Katzen.«
Er sagt: »Ich möchte nicht, dass du unglücklich bist, Bea. Ich möchte einfach nicht einer dieser Väter sein, die darauf bestehen, dass ihr Kind, du weißt schon, ständig glücklich ist.«
»Sollen
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