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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
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sonst wo mit »etwas Kulturellem anzufangen«, reagieren kann, auf das Kalkulierte, den Anflug von Unternehmertum. Sollte »etwas Kulturelles« nicht von sich aus anfangen?
    Aber Rebecca will keine Auseinandersetzung, nicht jetzt, nicht heute Abend.
    Sie sagt: »Es kann ein Filmfestival oder eine Biennale oder irgendetwas in der Art sein. Es ist eine interessante Aufgabe. Wir haben alle beschlossen, es für eine interessante Aufgabe zu halten.«
    Peter lacht, sie lacht ebenfalls, sie nehmen einen großen, herzhaften Schluck von ihren Drinks.
    Sie sagt: »Der Preis, den wir dafür zahlen, kommt mir nicht zu hoch vor. Findest du nicht?«
    »Doch.«
    »Warst du bei dem Typ im Atelier?«
    »Ja. Die Arbeiten sind hübsch.«
    »Hübsch?«
    »Lass uns etwas bestellen, ich habe Hunger.«
    »Chinesisch oder Thai?«
    »Such du aus.«
    »Okay, chinesisch.«
    »Warum nicht Thai?«
    »Du kannst mich mal.«
    Sie drückt auf die Schnellwähltaste ihres Handys, bestellt das Übliche. Hühnchen mit Ingwer, Riesengarnelen mit schwarzer Bohnensoße, gebratene Buschbohnen, braunen Reis.
    »So«, sagt sie, nachdem sie aufgelegt hat. » Hübsch? «
    »Nein, nein, viel besser. Sie sehen wundervoll aus. Sie haben eine Präsenz, die auf den Fotos wirklich nicht zu erkennen ist.«
    Peter lässt seine Hose fallen, tritt heraus, lässt sie zusammengeknüllt am Boden liegen. Er wird seine Kleidung später aufheben, er erwartet nicht, dass seine Frau es tut, aber vorerst wirft er sie gern irgendwohin. Er ist jetzt ein Mann mit Vorbehalten, der eine weiße Unterhose trägt (kleiner Pissfleck, kaum bemerkbar).
    »Meinst du, Carole Potter will eine?«, fragt sie.
    »Es würde mich nicht im Geringsten überraschen. Sie sollte eine kaufen. Groff wird sich eine Weile halten, glaube ich.«
    »Peter?«
    »M-hm.«
    »Ist egal.«
    »Mach das nicht.«
    Sie trinkt einen Schluck, hält inne, atmet, trinkt noch einen Schluck. Sie denkt über etwas nach, das sie sagen will, nicht wahr? Ist es etwas anderes als das, was sie sagen wollte?
    »Ich habe ein schreckliches Gefühl, was Missy angeht«, sagt sie. »Und ich habe Angst, dass ich deine Geduld strapaziere.«
    Wenn sie über Missy spricht, kommt manchmal wieder ihr lange verschwundener Virginia-Singsang durch.
    »Ich sag dir Bescheid.«
    »Es ist bloß … Ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde oder nicht. Aber ich könnte schwören, dass ich seinerzeit so ein Gefühl hatte, als er. Den Unfall hatte.«
    Ihr Taylors. Ihr werdet nie von dem Wort »Unfall« ablassen, oder?
    »Was für ein Gefühl?«, fragt Peter.
    »Ein Gefühl. Zwing mich nicht dazu, dir mit der weiblichen Intuition zu kommen.«
    »Beschreib es. Ich bin neugierig. Wie, du weißt schon, ein Wissenschaftler.«
    »Hm. Na ja, Missy hat immer diese gewisse Ausstrahlung, wenn er im Begriff ist, irgendetwas zu machen, was er für gut hält, während alle anderen wissen, dass es ganz, ganz schlecht ist. Es ist schwer zu beschreiben. Es ist fast wie diese Aura, die Leute mit Migräne sehen. Ich kann sie bei ihm sehen.«
    »Und du siehst sie jetzt?«
    »Ich glaube schon. Ja.«
    Peter kennt die Litanei. Missy, der sich mit sechzehn nach Paris begab, weil er Derrida kennenlernen musste. Missy, der mit Heroin anfing, kurz nachdem er von Paris zurückgebracht wurde, und anschließend aus der Reha türmte, um nach New York zu gehen und weiß Gott was zu machen. Missy, der nach einem Jahr in Manhattan eingefangen und zu seinem (wiederholten) ersten und letzten Jahr nach Exeter geschickt wurde, wo er plötzlich zum Musterschüler wurde und dann nachYale ging, wo er sich in den beiden ersten Jahren weiterhin wunderbar machte, aber dann ohne Vorwarnung ausstieg, um auf einer Farm in Oregon zu arbeiten. Missy, der wieder nach Yale ging und wieder auf Drogen war, diesmal Crystal. Missy, der mit dem Honda Civic seines Freundes den besagten »Unfall« hatte. Missy, der in Yale unglücklich war und keinen Abschluss machen wollte. Missy, der den Camino de Santiago pilgerte. Missy, der wieder nach Richmond zog und fast fünf Monate lang in seinem alten Zimmer wohnte. Missy, der mit Crystal aufhörte (oder es sagte). Missy, der nach Japan ging, um bei fünf Steinen zu sitzen.
    Missy, der im Alter von zwölf anfing, mit folgenden bekannten (vergiss die unbekannten) Personen zu gehen: ein komisches, aufsässiges Charlotte-Gainsbourg-artiges Mädchen, das frisch auf der Highschool war, als Missy in die neunte Klasse ging; die seltsame kurze Phase, als Missy in Exeter

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