In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
machen. Missy ist – sei ehrlich – theatralischer. Du bist, wir beide sind von unserer Tochter ausgelaugt. Du und ich können zuallermindest den Finger auf Missys Schwierigkeiten legen, wir können sie verstehen. Beas Entschlossenheit, so ein mickriges Leben zu führen, eine Hoteluniform zu tragen, mit einem seltsamen älteren Mädchen zusammenzuleben, das sich anscheinend einfach treiben lässt, und keine (wahrnehmbaren) Freunde zu haben … Es ist schwerer, nicht wahr? Wenn sie einem außer den dürftigsten Tatsachen nichts erzählt.
»Noch mal zu Missy.«
»Hm?«
Was genau will er sagen? Er will ihr die ganze Geschichte erzählen, auch wenn ein Teil der ganzen Geschichte etwas mit seiner Sorge zu tun hat, dass sie und ihre Schwestern sich mit lauter guten Absichten anschicken, Missy kaputtzumachen, ihn retten wollen, indem sie ihn auf Normalmaß zurechtstutzen, und dass … Scheiße … nein, natürlich sollte er nicht wieder Drogen nehmen, aber er sollte auch nicht zur Besinnung kommen, er sollte sich nicht mit etwas »Vielversprechendem« befassen, ich meine, klar, damit wäre er »sicherer«, aber ist »sicher« das Beste, was er von der Welt kriegen kann? Bea ist auf ihre Weise sicher. Missy ist – mag es sein, wer weiß? – eins jener seltenen Wesen, die so leichtsinnig, schlau und komplex sind, dass ihnen von den unergründlichen Mächten, die da sind, ein Leben gewährt wird, das sie nicht zermürbt.
Und deshalb wird Peter seiner Frau vorschlagen, dass man ihrem geliebten kleinen Bruder gestatten sollte, weiter Drogen zu nehmen? Richtig. Das kommt gut.
»Nichts«, sagt Peter. »Es wird gut sein, Missy morgen dabeizuhaben. Carole wird ihn lieben, sie steht auf intelligente, gut aussehende junge Männer.«
»Wer nicht?«
Sie wirft eine Handvoll Eiswürfel in den Shaker.
Und so weiß Peter Bescheid. Er wird nicht der nüchterne Verantwortungsbewusste sein. Er wird Rebecca nicht erzählen, dass ihre Ängste zumindest in einem gewissen Maß gerechtfertigt sind.
Rebecca, vergib mir, wenn du kannst. Ich ertrinke in meiner Schuld. Ich habe Angst, ich könnte daran sterben.
Peter liegt natürlich wach im Bett, als Missy heimkommt. Zwei Uhr vierunddreißig. Nicht früh, aber auch nicht spät, nicht nach den Maßstäben der jungen New Yorker. Er hört Missys leise, bedächtige Schritte, als er durch den vorderen Teil des Lofts zu seinem Zimmer läuft.
Wo bist du gewesen?
Mit wem bist du zusammen gewesen?
Gehst du auf Zehenspitzen, weil du uns nicht wecken willst, oder weil du high bist? Setzt du jeden Fuß staunend auf elektrifizierte, leuchtende Dielen?
Missy geht in sein Zimmer. Bevor er sich auszieht, fängt er an zu sprechen, zu leise, als dass man ihn verstehen könnte. Einen Moment lang stellt sich Peter vor, er hätte jemanden mitgebracht, aber nein, er ruft nur jemanden mit seinem Handy an. Peter hört das Heben und Senken von Missys Stimme, aber trotz der Kartonwand kann er nicht hören, was er sagt. Er ruft jedoch jemanden an um … 2:58 Uhr.
Peter liegt gekränkt im Bett. Wer ist es, Missy? Dein Dealer? Ist dir der Stoff ausgegangen, willst du dich in zwanzig Minuten an der Ecke mit ihm treffen? Oder ist es ein Mädchen, mit dem du gevögelt hast, willst du sie trösten, weil du sie in ihrem Bett allein gelassen hast?
Okay. In Ordnung. Er glaubt lieber, dass es der Dealer war. Er will nicht, dass sich Missy mit einem Mädchen trifft. Er will es nicht, weil, sag es, weil er Missy besitzen will, so wie er Kunst besitzen will. Er will Missys scharfen, vermurksten Verstand, er will seine Selbstzerstörung und er will sein … Wesen hier haben, ganz und gar hier, er will nicht, dass er es an jemand anderen vergeudet, erst recht nicht an ein Mädchen, das ihm etwas geben kann, was Peter nicht geben kann. Missy wird – Peter ist nicht blöde, er ist verrückt, aber nicht blöde – sein Lieblingskunstwerk, ein Performance-Stück, wenn man so will, und Peter möchte ihn sammeln, er möchte sein Meister und sein Vertrauter sein (denk dran, Missy, ich könnte dich jederzeit verpfeifen), Peter möchte nicht, dass er stirbt (wirklich und wahrhaftig nicht), aber er möchte Missy kuratieren, er möchte sein einziger … sein Einziger sein. Das wird reichen, wirklich.
Matthew ist in einem Grab in Wisconsin. Bea mixt aller Wahrscheinlichkeit nach Cocktails für einen lüsternen Geschäftsmann.
Nimm heute Nacht lieber zwei von den blauen Pillen.
Kostbare Hühner
Der Zug von Grand Central
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