In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Peter hat den Künstler nicht gefunden, der vernichten und erlösen kann. Sie beide sind ihrem Ziel nahe gekommen, sie haben es versucht – weiß Gott, sie haben es versucht -, aber hier sind sie, zwei Männer, die im Garten einer reichen Frau stehen, ein bisschen verblüfft, wie sie überhaupt hier gelandet sind, und vollkommen ahnungslos, was sie als Nächstes tun sollen, außer zu dem zurückzukehren, was sie vorher getan haben, was sich aber im Moment unerträglich anfühlt.
Er könnte vermutlich, wie ausführlich auch immer, mit Missy über seine Zweifel reden, nicht wahr? Missy ist derjenige, der zu diesem Gespräch bereit wäre.
Peter sagt: »Die Kunstfrage ist kitzlig.«
»Wieso?«
»Sagen wir einfach, man bekommt nicht jeden Tag einen Raffael. Denk an, ach, diese Salzfässer von Cellini. Sie haben eine weit größere Bedeutung, als Salz zu fassen.«
»Aber Cellini hat auch den Ganymed gemacht.«
Okay, Missy, du weißt ein bisschen zu viel für den alten Onkel Peter, nicht wahr?
»Lass uns zum Strand runterlaufen«, sagt Peter, weil irgendjemand irgendetwas vorschlagen muss.
Sie gehen gemeinsam die lange Grasböschung hinab, die zum Sund führt, der voller Segel und Sonnensprenkel ist, mit zwei grünen Inseln, die auf dem schimmernden Blau schweben.Von Caroles Haus aus blickt man auf eine kleine, hafenähnliche Bucht, die sich am Fuß ihrer großen Rasenfläche gebildet hat, ein bescheidener, U-förmiger Strand aus kittfarbenem Sand, mit Steinen und Seetangsträngen übersät.
Als sie zum Strand laufen, sagt Peter zu Missy: »Ich verkaufe keine Kunst, die mir nicht gefällt. Es ist nur so, dass. Na ja. Genie, ich meine echtes Genie, ist selten.«
»Das weiß ich.«
»Vielleicht ist es doch nicht das, was du wirklich machen willst.«
»Was?«
»Irgendetwas mit Kunst.«
»Doch.Wirklich und wahrhaftig.«
Sie erreichen den Sand. Missy streift seine Schuhe ab (schäbige alte Adidas, keine Socken), Peter lässt seine (Prada-Slipper) an. Sie schlendern gemeinsam auf das Wasser zu.
»Darf ich dir etwas erzählen?«, sagt Missy.
»Klar.«
»Ich schäme mich.«
»Warum?«
Missy lacht. »Was glaubst du denn, warum?«
In seinem Tonfall schwingt plötzlich etwas Hartes,Aufdringliches mit. Es könnte der Tonfall eines Strichers sein, vorzeitig zynisch geworden.
Sie kommen ans Wasser, wo eine sehr bescheidene Flut eingesetzt hat, nichts als lautlose Falten, die vorrücken, sich zurückziehen und wieder vorrücken. Missy krempelt die Beine seiner Jeans hoch, watet bis knapp über die Knöchel hinaus. Peter bleibt ein paar Schritte hinter ihm und spricht mit leicht erhobener Stimme weiter.
»Meiner Meinung nach bringt Scham überhaupt nichts.«
»Ich möchte nicht nichts tun. Aber anscheinend fehlt mir eine Fähigkeit, die andere Leute haben. Irgendwas, das ihnen sagt, mach dies oder das . Studier Medizin oder geh in die Entwicklungshilfe oder unterrichte Englisch im Nebenfach. Alles kommt mir so völlig plausibel vor. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich irgendwas davon mache.«
Wird er weinerlich, oder scheint ihm bloß die Sonne in die Augen?
Was genau soll Peter ihm sagen?
»Du wirst etwas finden«, ist sein lahmarschiges Bestes. »Selbst wenn es nichts mit dem Verkaufen von Kunst zu tun hat. Oder dem Kuratieren. Oder was auch immer.«
Missy kann offensichtlich nicht einmal so tun, als tröste ihn das. Er wendet sich ab, schaut hinaus auf den Sund.
»Weißt du, was ich bin?«, sagt er.
»Was?«
»Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch.«
»Ach komm.«
»Ich weiß schon. Wer ist kein ganz gewöhnlicher Mensch? Wie entsetzlich anmaßend ist es, irgendwas anderes sein zu wollen. Aber ich muss dir was sagen. Ich bin so lange als etwas Besonderes behandelt worden, und ich habe mich nach besten Kräften darum bemüht, etwas Besonderes zu sein , aber ich bin es nicht, ich bin nicht außergewöhnlich, ich bin einigermaßen klug, aber ich bin nicht genial, und ich bin nicht spirituell oder nicht einmal besonders geradlinig. Ich glaube, ich kann das ertragen, aber ich bin mir nicht sicher, ob es die Leute um mich rum können.«
Und Peter weiß es – Missy wird sterben. Peter weiß es irgendwo tief in seinem Inneren. Es ist wie die Überzeugung, die er bei Bette Rice hatte. Es ist, als könne er die Sterblichkeit riechen, obwohl ihre Ausdünstung bei einer alternden Frau mit Brustkrebs sicherlich eher wahrnehmbar ist als bei einem jungen Mann von bester Gesundheit. Hat Peter gewusst,
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