In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

meinst.«
    Weitere Einzelheiten wären überflüssig. Peter kennt die Familiengeschichte der Potters: die hübsche, nicht zu bremsende Tochter, die rasend schnell ihren Doktor in Harvard macht, der Sohn hingegen ist anscheinend von all dem Glück aus der Bahn geworfen worden; einer, der mit achtunddreißig noch immer keine andere Beschäftigung gefunden hat als zu surfen und zu kiffen, derzeit in Australien.
    Ein Schatten huscht über Caroles Gesicht. Wer könnte die Tiefe und die Art ihres Kummers entschlüsseln? Sie muss von Bill (der wie Tom Buchanan irgendwo eine Myrtle Wilson haben muss, die heimlich auf ihn wartet) gelangweilt sein, sie ist vermutlich zufrieden mit der Tochter (obwohl, Mütter und Töchter, wer weiß?) und macht sich zunehmend Sorgen um den Sohn, da seine Wanderjahre zu einem Wanderleben werden. Sie ist beneidenswert, sie ist eine Naturgewalt, ihr gehört all das hier , und sie sitzt im Vorstand von etwa einem Dutzend karitativer Einrichtungen, und Peter weiß zufällig, dass diese Rüschenblusen von den alljährlichen Einkaufsreisen nach Paris stammen, aber kann sie sich das hier erhofft haben, als sie ein gut aussehendes, kluges Mädchen war, das überall eingeladen wurde? Der leicht unterbelichtete, schmerzlich unkomplizierte Mann, der mit fünfundzwanzig ein junger Gott war (wie aus der Reklame von Abercrombie & Fitch, Peter hat die Fotos gesehen), sich als alternder Wertpapieranalyst in der hiesigen Filiale von Smith Barney aber erheblich weniger göttlich vorkommt. Die ausgefüllten, aber einsamen Tage hier oben auf dem Hügel, im Garten arbeiten und sich exotische Hühner halten.
    Was hat sie davon, wenn das Dinner für die Chens vorüber ist, eine Vase mit eingravierten Obszönitäten zu besitzen, die sie zumindest teilweise (inwieweit versteht sie das?) beleidigen sollen?
    Natürlich versteht sie es. Das ist ein Teil der Attraktion, nicht wahr?
    Und Bill wird verblüfft und ungehalten sein. Das ist vermutlich auch ein Teil der Attraktion.
    Peter und Carole stehen einen Moment schweigend da und betrachten Missy, der den Kiesweg entlangschlendert. Mal das, du Misthund: zwei Gestalten in einem bestimmten Alter stehen mit dem Kunstwerk in ihrem Rücken da und blicken wie gebannt auf den jungen Mann, der zwischen den Gräsern und Kräutern entlangläuft.
    Carole sagt: »Warum führst du ihn nicht ein bisschen herum? Ich hätte nichts dagegen, etwas Zeit mit der Vase allein zu verbringen.«
    An Caroles Angebot, denkt Peter, ist irgendetwas leicht seltsam. Nimmt sie an, dass er gern mit Missy allein wäre? Bildet sie sich womöglich ein, dass er gar nicht der Schwager, sondern ein Freund ist, den Peter sich heimlich hält?
    Er und Carole wechseln einen kurzen Blick. Schwer zu sagen, was sie annimmt, aber es scheint klar zu sein, dass sie an diskrete Arrangements gewohnt ist. Wenn Bill irgendwo ein Mädchen hat, hat Carole ihrerseits vielleicht auch etwas laufen. Peter hofft es.
    »Okay«, sagt er, und einen Moment lang hat er das Gefühl, dass sein Leben gänzlich mit Frauen eines bestimmten Alters bevölkert ist, großartigen Frauen, streng, aber großzügig, viel eher Schwestern als Mütter, und es scheint, dass sie alle, selbst die arme, sterbende Bette, und ja, selbst Rebecca, etwas für ihn wollen, das er von sich aus anscheinend nicht kriegen kann.
    Ist es Missy? Wäre es möglich, dass sogar Rebecca in ihrem tiefsten Herzen Peter ohne eigene Schuld loswerden, dass sie auf eine so schockierende, eine, wie man sagt, so ungehörige Art und Weise verlassen werden will, dass ihr niemand irgendetwas vorwerfen könnte?
    »Halte Zwiesprache mit deiner Kunst«, sagt er. »Ich bin gleich wieder da.«
    Er verabschiedet sich mit einem kurzen Dank und vorgetäuscht freundlich von Tyler und Branch, die getan haben, wozu sie gekommen sind, und jetzt im Begriff sind, den Krim in die Galerie zurückzubringen. Er geht den Weg entlang zu Missy.
    Peter sagt: »Und schon befindest du dich wieder in einem Garten.«
    »Der hier ist nicht so anspruchsvoll«, antwortet Missy.
    »Sag das nicht zu Carole.«
    »Sieht so aus, als ob sie das Ding kauft.«
    »Das Ding ? Findest du es so schlecht?«
    »Ich gehe jede Wette ein, dass es dir damit genauso geht wie mir.«
    »Ich finde es ganz und gar nicht schlecht.«
    »Ich auch nicht.«
    Irgendetwas passiert zwischen ihnen. Peter ist klar, dass Missy klar ist, dass sie beide ihr Bestes tun und beide versagen – Missy war von den heiligen Steinen nicht ergriffen, und