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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Zivilisation borgte er sich zwanzig Dollar von Cliff Hudson, dem Piloten, der ihn aus dem Gebirge herausflog - er war total pleite. Er kehrte nach Fairbanks zurück und fing als Tellerwäscher an, der einzige Job, den er finden konnte.
    Dennoch wurde Waterman von der kleinen Bergsteigergemeinde in Fairbanks als Held bejubelt. Er hielt einen öffentlichen Dia - Vortrag über die Hunter - Besteigung, den Brady als »unvergeßlich« bezeichnet. »Was für ein Abend. Unglaublich, wie er das gemacht hat. Er hat sich überhaupt keinen Zwang angetan, hat alles rausgelassen, seine Gedanken und Gefühle, die Angst, zu versagen, und die Todesängste, die er ausgestanden hat. Es war, als wäre man selbst dabei gewesen.« In den Monaten nach der historischen Tat mußte Waterman jedoch feststellen, daß der Erfolg seine Dämonen nicht etwa beruhigt hatte, im Gegenteil, sie waren nur noch aufsässiger.
    Waterman war mehr und mehr im Begriff, sich aufzulösen. »John war sehr selbstkritisch und analysierte sich ständig selbst«, erinnert Brady sich. »Und ein bißchen zwanghaft war er ja immer schon gewesen. Er hatte immer mehrere Klemmbretter und Notizbücher dabei. Darin hat er sich ausgiebig Notizen gemacht und alles aufgezeichnet, was er im Laufe des Tages so getrieben hat. Ich weiß noch, wie wir uns einmal im Zentrum von Fairbanks begegnet sind. Ich gehe auf ihn zu, und er holt ein Klemmbrett raus und trägt den genauen Zeitpunkt unserer Begegnung ein. Und dann hat er unsere Unterhaltung - bei der es wirklich nicht um viel ging - protokolliert. Seine Notizen über unser Treffen waren drei, vier Seiten lang, zusätzlich zu all dem anderen Zeug, das er an jenem Tag bereits gekritzelt hatte. Er muß ganze Stapel von diesen Notizen gehabt haben, irgendwo aufbewahrt, und ich bin sicher, daß niemand außer John sie verstanden hätte.«
    Bald danach kandidierte Waterman für die örtliche Schulaufsichtsbehörde und versprach, sich im Falle seiner Wahl für freien Sex unter Schülern und die Freigabe von halluzinogenen Drogen einzusetzen. Als er die Wahl verlor - was außer ihm selbst niemand überraschte - , bewarb er sich gleich für das nächste Amt, diesmal für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten. Er kandidierte unter dem Banner der »Tod - dem - Hungertod« - Partei, deren Hauptanliegen es war, daß niemand auf diesem Planeten an Hunger sterben darf.
    Um seiner Kandidatur die nötige Publicity zu verschaffen, kam er auf die Idee, die Südwand des Denali zu besteigen, das steilste Stück des Berges. Die Alleinbesteigung sollte im Winter und mit einem Minimum an Verpflegung durchgeführt werden, womit er auf den verschwenderischen und unmoralischen Umgang mit Nahrungsmitteln in den USA aufmerksam machen wollte. Sein Trainingsprogamm für die Besteigung bestand unter anderem darin, Tauchbäder in einer Badewanne voller Eis zu nehmen.
    Im Dezember 1979 ließ Waterman sich schließlich zum Kahiltna - Gletscher hinausfliegen und nahm die Besteigung in Angriff. Nach nur vierzehn Tagen blies er jedoch alles wieder ab. »Bring mich nach Hause«, soll er seinem Piloten gesagt haben. »Ich will nicht sterben.« Zwei Monate später jedoch bereitete er sich auf einen zweiten Versuch vor. Aber in Talkeetna, einem Dorf südlich des Denali, das Bergsteigerexpeditionen in der Alaska Range oft als Basislager dient, ging die Hütte, die er bewohnte, in Flammen auf und brannte völlig aus. Sowohl seine Ausrüstung als auch seine umfangreichen Notizen, Gedichte und Tagebücher, die er über die Jahre angelegt hatte und als sein Lebenswerk betrachtete, fielen den Flammen zum Opfer.
    Waterman konnte nicht mehr. Der Verlust hatte seiner Psyche den letzten Schlag versetzt. Am Tag nach dem Brand begab er sich freiwillig in die Obhut des Instituts für Psychiatrie in Anchorage. Zwei Wochen später verließ er es jedoch wieder, überzeugt, daß eine Verschwörung gegen ihn im Gange sei und man ihn bis an das Ende seiner Tage in der Klapsmühle behalten wolle. Dann, im Winter '81, stellte er sich erneut dem Denali.
    Den Berg im Alleingang im Winter zu erklimmen war ihm offenbar nicht Herausforderung genug. Er beschloß, den Einsatz zu erhöhen und die Besteigung dieses Mal auf Meereshöhe zu beginnen. Damit mußte er zusätzlich einhundertsechzig sich umständlich schlangelnde Meilen vom Strand des Cook Inlet aus zurücklegen, um überhaupt den Fuß des Berges zu erreichen. Im Februar brach er an der Küste auf und arbeitete sich Richtung Norden

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