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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Charme des rast und ruhelosen jungen Mannes so eingenommen war, daß er ihn bei sich aufnahm. In den nächsten zwei Monaten bestärkte der berühmte Fotograf den Jungen in seinen noch etwas holprigen, jedoch vielversprechenden Mal und Holzschnittversuchen. Ruess durfte sich mit Westons Söhnen, Neu und Cole, im Studio herumtreiben.
    Als der Sommer zu Ende war, kehrte Everett nach Hause zurück, allerdings nur, um schnell die High School abzuschließen. Im Januar 1931 erhielt er sein Abschlußzeugnis, und einen knappen Monat später war er schon wieder unterwegs. Er reiste allein durch die Canyon-Gebiete von Utah, Arizona und New Mexiko, das damals beinahe ebenso spärlich besiedelt und sagenumwoben war wie Alaska heute. Abgesehen von einem kurzen, nicht sehr glücklichen Zwischenspiel an der University of California in Los Angeles (nach nur einem Semester stieg er zum ewigen Bedauern seines Vaters wieder aus), zwei längeren Besuchen bei seinen Eltern und einem in San Francisco ausgesessenen Winter (wo es ihm gelang, sich in den Kreis um Dorothea Lange, Ansel Adams und dem Maler Maynard Dixon einzuschmuggeln) sollte er den Rest seiner kurzen, sternschnuppenhaften Existenz auf Reisen verbringen. Er lebte aus seinem Rucksack, hatte kaum Geld, schlief im Dreck und überlebte oft tagelang ohne Nahrung, was seiner guten Laune jedoch keinen Abbruch tat.
    Ruess war, wie Wallace Stegner es ausdrückte, »ein Romantiker, jung und unerfahren, ein jugendlicher Ästhet, ein atavistischer Wanderer der Wüsten«:
    Mit achtzehn hatte er einen Traum. Er sah sich, wie er sich durch Dschungelgebiete schleppte, sich an den Klippen der Felswände hochhangelte und die romantischen Einöden dieser Erde durchwanderte. Jedem Mann, der noch die Säfte der Jugend in sich verspürt, sind solche Träume unvergeßlich. Das Besondere an Everett Ruess ist, daß er auszog und genau das, wovon er träumte, auch tat, und zwar nicht im Rahmen eines zweiwöchigen Urlaubs in gezähmten und veredelten Wunderparadiesen, sondern inmitten des wahren Wunders selbst...
    Freiwillig setzte er sich horrenden Qualen aus, überforderte seinen Körper und testete seine Ausdauer. Stets entschied er sich für Trails, vor denen Indianer oder ältere Einwohner der Gegend ihn warnten. Er kletterte in Steilwände, die ihn mehr als nur einmal zwischen den Geröllhaufen am Boden und dem rettenden Rand baumeln ließen... Von seinen Lagerplätzen an den Wasserstellen, in den Canyons oder hoch oben auf dem bewaldeten Kamm des Navajo Mountain schrieb er lange, phantasievolle und überschwengliche Briefe an seine Familie und seine Freunde, in denen er die stereotypen Lebensweisen der Zivilisation verfluchte und der Welt seinen barbarischen, jugendlichen Übermut ins Gesicht schmetterte.
    Ruess produzierte solche Briefe am laufenden Band. Sie trugen die Poststempel der abgelegensten Siedlungen, die er durchstreift hatte: Kayenta, Chinle, Lukachukai; Zion Canyon, Grand Canyon, Mesa Verda; Escalante, Rainbow Bridge, Canyon de Chelly. Dem Leser dieser Briefe (sie finden sich in gesammelter Form in W.L. Rushos sorgfältig recherchierter Biographie, »Everett Ruess: A Vagabond for Beauty«) wird die starke Sehnsucht Ruess' nach einer innigen Verbindung mit der Natur auffallen sowie seine gleichsam trotzige Leidenschaft für das Land, das er durchstreifte. »Seit meinem letzten Brief an Dich hatte ich ein paar phantastische Erlebnisse in der Wildnis - ergreifend, überwältigend«, schwärmte er gegenüber seinem Freund Cornel Tengel.
    »Aber ich bin ja ständig überwältigt. Ich brauche dieses Gefühl wie die Luft zum Atmen.«
    Die Briefe lassen geradezu gespenstische Parallelen zwischen Ruess und Chris McCandless erkennen. Es folgen Auszüge aus drei Ruess - Briefen:
    Mehr und mehr komme ich zu der Überzeugung, daß ich dazu bestimmt bin, ein einsamer Wanderer der Wildnis zu bleiben. Gott, welch verführerische Macht der Trail doch auf mich ausübt. Du kannst die unwiderstehliche Faszination, die von ihm ausgeht, nicht nachvollziehen. Schließlich ist der einsame Trail auch der beste... Ich werde ewig weiterwandern. Und wenn meine Zeit gekommen ist und der Tod naht, werde ich den abgelegensten, einsamsten, verlassensten Ort aufsuchen.
    Die Schönheit dieses Landes wird allmählich zu einem Teil meiner selbst. Ich fühle mich dem Leben entrückter, bin irgendwie sanfter und gütiger geworden ...Ich habe hier ein paar gute Freunde, aber niemanden, der wirklich begreift, warum ich

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