In die Wildnis
verschlossen und launisch sein kann, obwohl, so die allgemeine Ansicht, sein berüchtigtes aufbrausendes Naturell in den letzten Jahren viel von seiner Unberechenbarkeit eingebüßt hat. Nachdem Chris sich 1990 ohne Vorwarnung aus dem Staub gemacht hatte, trat bei Walt eine Wandlung ein. Das Verschwinden seines Sohnes machte ihm angst und stimmte ihn nachdenklich. Eine sanftere, tolerantere Seite seines Wesens kam zum Vorschein.
Walt wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Er stammt aus Greely, Colorado, einem Farmerstädtchen in der windgepeitschten Hochprärie ganz in der Nähe der Grenze zu Wyoming. Er sei, wie er nüchtern feststellt, »nicht auf der Sonnenseite des Lebens groß geworden«. Aber er war klug und ehrgeizig, jemand, der aus seinem Leben etwas machen wollte. Er bekam ein Uni - Stipendium für die Colorado State University im nahen Fort Collins. Um sich während der Studienzeit über Wasser zu halten, hatte er eine ganze Reihe von Jobs inne, unter anderem in einer Leichenhalle. Ein wirklich regelmäßiges Einkommen bescherte ihm aber vor allem die Arbeit mit Charlie Novak, dem Bandleader eines beliebten Jazzquartetts. Novaks Band - Walt war der Pianist - bediente die lokale Tanzszene und tingelte mit ihren Tanznummern und alten Standards durch verrauchte Schuppen am Fuße der Rocky Mountains. Walt ist ein begeisterter Musiker mit beachtlichem Talent, und auch heute noch übernimmt er von Zeit zu Zeit ein Engagement.
1957 schossen die Sowjets die Sputnik I in den Weltraum. Über Amerika legte sich ein Schatten der Angst. In der nun folgenden nationalen Hysterie schleuste der Kongreß Millionen und Abermillionen von Dollars in die in Kalifornien beheimatete Raumfahrtindustrie, die einen rasanten Aufschwung erlebte. Für den jungen Walt McCandless - frisch von der Uni, verheiratet und werdender Vater - öffnete die Sputnik die Tür ins Reich der unbegrenzten Möglichkeiten. Als er den ersten Teil seines Studiums abgeschlossen hatte, trat er eine Stellung bei Hughes Aircraft an. Von dort aus wurde er für drei Jahre nach Tucson geschickt, wo er an der University of Arizona seinen Magister in Antennentheorie machte. Sobald er seine Dissertation - »Analyse konischer Spiralen« - fertiggestellt hatte, wechselte er an Hughes' riesiges, kalifornisches Stammwerk über, wo damals die spannendsten Projekte in Gang waren. Walt war entschlossen, sich in dem Wettlauf der Raumfahrtsysteme einen Namen zu machen.
Er kaufte einen kleinen Bungalow in Torrance, arbeitete hart und erklomm in raschen Sprüngen die Karriereleiter. Sam wurde 1959 geboren, und die vier anderen Kinder - Stacy, Shawna, Shelly und Shannon - folgten in kurzen Abständen. Walt wurde zum Testleiter und Ressortchef der Surveyor-1-Mission bestellt, des ersten Raumschiffes, dem eine weiche, aufsetzende Landung auf dem Mond gelang. Walts Stern ging auf und leuchtete.
1965 jedoch scheiterte seine Ehe. Er und seine Frau Marcia trennten sich. Walt begann sich häufiger mit seiner Sekretärin bei Hughes zu treffen. Sie hieß Wilhemina Johnson - alle nannten sie Billie - , war zweiundzwanzig Jahre alt und hatte auffallend dunkle Augen. Sie verliebten sich und zogen zusammen. Billie wurde schwanger. Ihr zierlicher Körper legte in neun Monaten nur acht Pfund zu, so daß sie nicht einmal Umstandskleider tragen mußte. Am 12. Februar 1968 brachte Billie einen Sohn zur Welt. Er hatte Untergewicht, war ansonsten aber gesund und munter. Walt schenkte Billie eine Gianini - Gitarre, auf der sie Wiegenlieder anstimmte, um das quengelnde Neugeborene zu besänftigen. Zweiundzwanzig Jahre später sollten die Ranger des Nationalparks ebendiese Gitarre auf dem Rücksitz des am Lake Mead stehengelassenen, gelben Datsuns finden.
Es ist natürlich unmöglich zu bestimmen, welches obskure Chromosomen - Zusammenspiel, welche Eltern-Kind - Dynamik und zufällige Sternenkonstellation dafür verantwortlich war, daß Christopher Johnson McCandless die Welt mit einer Vielzahl ungewöhnlicher Talente betrat und mit einem Willen, der der Durchschlagskraft von Walts NASA - Raketen in nichts nachstand. Mit gerade mal zwei Jahren stand er eines Nachts auf, gelangte nach draußen und drang in eines der Nachbarhäuser ein, um dort die Schublade mit Süßigkeiten zu plündern.
Als er in der dritten Klasse in einem Einstufungstest ein hervorrragendes Ergebnis erzielte, wurde er in ein Hochbegabtenprogramm gesteckt. »Er war darüber alles andere als glücklich«, weiß Billie noch,
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