In die Wildnis
abergläubischen Riten - den Menschen als Lebensraum vorbehalten, die näher mit Felsen und wilden Tieren verwandt sind als wir... Was hat man davon, in ein Museum eingelassen zu werden, um unzählige ausgefallene Dingen zu sehen, im Vergleich dazu, die Oberfläche mancher Sterne und Urgestein an seinem Herkunftsort betrachten zu können! Ich stehe ehrfürchtig vor meinem eigenen Körper, dieses Material, das zu mir gehört, ist mir so fremd geworden. Ich habe keine Angst vor Geistern und Gespenstern, zu denen ich zähle - oder davor, daß mein Körper zu ihnen zählen könnte -, doch ich habe Angst vor Menschen, und ich zittere bei dem Gedanken, ihnen zu begegnen. Wer ist dieser Titan, der von mir Besitz ergriffen hat? Man rede von Geheimnissen! Man denke an unser Leben in der Natur und an die Stoffe, die wir täglich sehen und spüren - Felsen, Bäume, Wind auf unseren Wangen! die feste Erde! die wirkliche Welt! der gemeine Menschenverstand! Kontakt! Kontakt! Wer sind wir? Wo sind wir!
HENRYDAVIDTHOREAU,
»KTAADN«
Ein Jahr und eine Woche, nachdem Chris McCandless beschloß, den Teklanika nicht zu überqueren, stehe ich am gegenüberliegenden Ufer - dem Ostufer, der Highway - Seite - und blicke in die brodelnde Flut. Auch ich hoffe den Fluß zu überqueren. Ich möchte mir den Bus ansehen. Ich möchte sehen, wo McCandless starb, um besser zu begreifen, warum es geschah.
Es ist ein heißer, schwüler Nachmittag. Der Fluß ist fahl und trüb von den rasch schmelzenden Schneemassen, die immer noch die Gletscher in den höheren Lagen der Alaska Range bedecken. Der Wasserstand sieht heute erheblich niedriger aus als auf den Fotos, die McCandless vor zwölf Monaten machte. Dennoch ist nicht daran zu denken, den Fluß hier in dieser donnernden hochsommerlichen Flut zu überqueren. Das Wasser ist zu tief, zu kalt, zu reißend. Als ich so in den Fluß blicke, höre ich über den Grund rumpelnde Gesteinsbrocken, so groß wie Bowlingkugeln, die von der reißenden Strömung stromabwärts gerollt werden. Nach wenigen Metern würde es mich umreißen, und ich würde in die enge Schlucht weiter unten gerissen, die den Fluß in eine Flut von schäumenden Stromschnellen zwängt, die sich fünf Meilen fortsetzen.
Anders als McCandless habe ich in meinem Rucksack jedoch eine Geländekarte im Maßstab 1:63.360 dabei (auf dieser Karte stellt ein Inch, also zweieinhalb Zentimeter, eine Meile dar). In ihrer Detailgenauigkeit zeigt sie sogar eine Wasserstandmeßstation an, die eine halbe Meile weiter stromabwärts in dem Nadelöhr der Schlucht vom Staatlichen Geologischen Vermessungsamt errichtet wurde. Anders auch als McCandless bin ich mit drei Begleitern hier: den beiden Alaskanern Roman Dial und Dan Solie sowie Andrew Liske, einem Freund von Roman aus Kalifornien. Die Meßstation ist von der Stelle, wo der Stampede Trail auf das Flußufer stößt, nicht zu sehen, doch nachdem wir uns zwanzig Minuten lang durch das dichte Unterholz der Fichten und Zwergbirken gekämpft haben, ruft Roman: »Ich sehe sie! Da vorne! Hundert Meter weiter.«
Als wir dort ankommen, finden wir ein fast drei Zentimeter dickes Drahtseil vor, das zwischen einen fünf Meter hohen, begehbaren Turm auf unserer Seite und einen knapp einhundertfünfzig Meter entfernten Felsvorsprung am anderen Ufer gespannt worden ist. Das Drahtseil war 1970 aufgespannt worden, um die jahreszeitlich bedingten Schwankungen des Teklanika tabellarisch zu erfassen. Hydrologen konnten wie mit einer Seilbahn über den Fluß hin und her fahren und von einem Transportkorb aus ein Senkblei hinablassen, um den Wasserstand zu messen. Die Meßstation wurde vor neun Jahren wegen Geldmangels geschlossen. Aus Sicherheitsgründen sollte der Korb an den Turm auf unserer Seite des Flusses - der Highway - Seite - festgekettet werden. Doch als wir den Turm bestiegen, war von einem Korb nichts zu sehen. Ich blickte über den reißenden Strom hinweg und entdeckte ihn am gegenüberliegenden Ufer, der Bus - Seite.
Wie sich später herausstellte, hatten ein paar einheimische Jäger die Kette aufgeschnitten, waren mit dem Korb hinübergefahren und hatten ihn dort befestigt. Zweck der Aktion war es, Fremden zu erschweren, den Teklanika zu überqueren und in ihr Jagdrevier einzudringen. Als McCandless vor einem Jahr und einer Woche aus der Wildnis zurückkehren wollte, befand sich die Gondel genau dort, wo sie sich jetzt befindet, auf der anderen Seite der Schlucht. Wenn er dies gewußt
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