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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Korrespondent bemerkte, darüber hinaus »war sein selbstgebasteltes Abenteuer von solch bescheidenen Dimensionen, daß es schon wieder bemitleidenswert ist - in einem Bus ein paar Meilen von Healy entfernt zu hocken, Eichelhäher und Eichhörnchen aus den Bäumen zu schießen, ein Karibu mit einem Elch zu verwechseln (dazu gehört schon was)... Für den Jungen gibt's nur ein Wort: Unfähig.«
    Die Briefe, die ich erhielt und die McCandless in Grund und Boden verdammten, gingen buchstäblich alle auf die Verwechslung von Elch und Karibu ein. Dies sei der definitive Beweis, daß McCandless keinen blassen Schimmer davon hatte, was es bedeutet, im Hinterland zu überleben. Was jene wütenden Briefeschreiber jedoch nicht wußten, war, daß das Huftier, das McCandless erlegte, genau das war, für was er es hielt. Im Gegensatz zu dem, was ich in Outside berichtet hatte, handelte es sich tatsächlich um einen Elch, wie eine genauere Untersuchung des Skelettes nun ergab. Mehrere Fotos, die McCandless gemacht hatte, räumten später auch noch die letzten Zweifel aus. Der Junge hatte auf dem Stampede Trail zwar so einige Fehler begangen, aber ein Karibu mit einem Elch zu verwechseln gehörte nicht dazu.
    Ich gehe auf den Bus zu, lasse die Elchknochen hinter mir, und steige hinten durch den Notausgang ein. Noch in der Tür stoße ich auf die Matratze, auf der McCandless starb: ein halbzerissenes, fleckiges, schimmeliges Teil. Ich bin irgendwie unangenehm berührt, als ich auf dem groben Matratzendrillich verstreut eine Sammlung seiner Besitztümer vorfinde: eine grüne Plastikfeldflasche, ein winziges Fläschchen mit Wasserreinigungstabletten, ein leeres Röhrchen Lippenbalsam, eine dickgefütterte Fliegerhose von der Art, wie sie in Armeerestbestandsläden verkauft werden, eine Taschenbuchausgabe des Bestsellers »O Jerusalem!« mit zerfleddertem Buchrücken, Wollhandschuhe, eine Flasche Insektenspray, eine volle Schachtel Streichhölzer, ein Paar brauner, robuster Gummistiefel, auf deren Stulpen in verblichener Schrift der Name »Gallien« steht.
    Trotz fehlender Fensterscheiben ist die Luft hier im Innern des Fahrzeugwracks modrig und abgestanden.
    »Wow«, entfährt es Roman. »Hier stinkt's nach toten Vögeln.« Gleich darauf stoße ich auf den Auslöser dieses penetranten Gestanks: ein Plastiksack randvoll mit Federn, Daunen und den abgetrennten Flügeln mehrerer Vögel. Allem Anschein nach hat McCandless sie aufbewahrt, um seine Kleidung zu füttern oder vielleicht auch, um ein Kopfkissen daraus zu machen.
    Auf einem behelfsmäßigen Sperrholztisch im vorderen Teil des Busses sind neben einer Kerosinlampe McCandless' Töpfe und sein Geschirr aufgestapelt. Eine lange, große Lederscheide ist in raffiniert geprägten Schriftzügen mit den Initialen R. F. geschmückt: die Machetenscheide, die Ronald Franz McCandless bei seinem Aufbruch aus Salton City zum Geschenk machte.
    Neben der blauen Zahnbürste des Jungen liegen eine halbleere Tube Colgate - Zahnpasta, eine Packung Zahnseide und die goldene Backenzahnkrone, die sich, wie in seinem Tagebuch vermerkt, drei Wochen nach seiner Ankunft vom Zahn gelöst hatte. Ein paar Zentimeter weiter befindet sich ein Schädel von der Größe einer Wassermelone. Aus dem schneeweißen Kiefergerüst ragen elfenbeinfarbene Fangzähne. Der Schädel gehörte einem Bär, es ist der sterbliche Überrest eines Grizzlys, der wohl die Beute eines früheren Gastes war, viele Jahre, bevor McCandless hier Quartier machte. Das Einschußloch wird von einer kleinen Botschaft umrahmt. Es ist unverkennbar Chris' saubere Handschrift: Es lebe der Phantom-Bär, das Tier, das in uns allen steckt. Alexander Supertramp. Mai 1992.
    Die Blechwände des Busses sind voll mit Graffitis von den zahllosen Besuchern, die den Bus über die Jahre hinweg aufgesucht haben. Roman macht mich auf eine Botschaft aufmerksam, die er vor vier Jahren beim Durchqueren der Alaska Range gekritzelt hatte: Nudelesser unterwegs nach Lake Clark 8/89. Die meisten Leute haben sich wie Roman auf eine kurze Mitteilung mit Namen und Datum beschränkt. Die längste und aussagekräftigste Äußerung stammt von McCandless, der gleich mehrere hinterlassen hat. Ein Ausruf des Jubels, der mit einer Anspielung auf seinen Lieblingssong von Roger Miller beginnt: Zwei Jahre lang durchstreift er zu Fuß die Welt. Kein Telefon, keine liebgewonnenen Haustiere, keine Zigaretten.
    Freiheit total. Ein Extremreisender. Ein ästhetischer Wanderer der Welten,

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