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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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hätte, wäre es für ihn ein leichtes gewesen, den Teklanika zu überqueren. Da er aber keine Geländekarte besaß, konnte er nicht ahnen, daß die Rettung so nah war.
    Andy Horowitz, einer von McCandless' Freunden aus dem Dauerlaufteam auf der Woodson High School, hatte einmal die Bemerkung gemacht, daß »Chris im falschen Jahrhundert geboren ist. Er hat sich nach mehr Abenteuer und Freiheit gesehnt, als die heutige Gesellschaft bietet.« Bei seinem Alaska - Trip sehnte McCandless sich danach, Gegenden zu durchwandern, die in keiner Landkarte verzeichnet waren. 1992 jedoch gab es solche Gegenden nicht mehr - weder in Alaska noch sonst irgendwo. Aber Chris, mit seiner verqueren Logik, wußte einen eleganten Ausweg aus diesem Dilemma: Er entledigte sich einfach der Karte. In seiner eigenen Vorstellung - und nur dort - blieb die terra dadurch incognita.
    Da er keine gute Karte hatte, blieb auch das Drahtseil mit dem Transportkorb incognito. Nachdem er sich also eine Weile lang die reißende Strömung angeschaut hatte, schloß McCandless fälschlicherweise, daß es unmöglich war, ans gegenüberliegende Ufer zu gelangen. In der Annahme, der Rückweg sei ihm versperrt, kehrte er zum Bus zurück - in Anbetracht seiner mangelnden topographischen Kenntnisse eine vernünftige Entscheidung. Aber warum harrte er dann im Bus aus und verhungerte? Warum versuchte er nicht, den Teklanika im August zu überqueren, wenn die Flut wieder zurückgegangen wäre und der Fluß gefahrlos überquert werden konnte?
    Diese Fragen verwirren mich und lassen mir keine Ruhe, und ich hoffe, daß das vor sich hin rostende Wrack des Fairbanker Bus Nr. 142 mir dabei hilft, die Antworten zu finden. Um dorthin zu gelangen, muß jedoch auch ich den Fluß überqueren, und der Aluminium - Korb ist immer noch am gegenüberliegenden Ufer festgekettet.
    Von der Plattform des Meßturms aus befestige ich mich mit Bergsteiggerät an dem Drahtseil und arbeite mich ans andere Ufer vor, indem ich mich mit beiden Händen am Seil entlanghangele; Bergsteiger bezeichnen dies als Tiroler Quergang. Die Unternehmung stellte sich als wesentlich anstrengender heraus, als ich angenommen hatte. Zwanzig Minuten später schleppe ich mich schließlich auf den kleinen Felsvorsprung am gegenüberliegenden Ufer; ich bin am Ende meiner Kräfte und so erschöpft, daß ich kaum noch einen Arm heben kann. Nachdem ich wieder einigermaßen Atem geschöpft habe, klettere ich in den Korb - eine rechteckige, etwa sechzig Zentimeter tiefe und einen Meter zwanzig breite Aluminiumgondel - , löse die Kette und mache mich wieder auf den Rückweg, um meine Gefährten hinüberzufahren.
    Das Seil hängt in der Mitte stark durch, daher gewinnt die Gondel unter ihrem eigenen Gewicht rasch an Geschwindigkeit, als ich mich von dem Felsvorsprung abstoße. Immer schneller rollt sie am Stahlseil entlang, auf den niedrigsten Punkt zu - eine aufregende Fahrt. Als ich mit zwanzig, dreißig Meilen die Stunde über die Stromschnellen hinwegrausche, entfährt mir unwillkürlich ein Angstschrei. Mir wird jedoch sofort klar, daß ich nicht in Gefahr bin, und ich beruhige mich wieder.
    Schließlich sind wir alle vier auf der Westseite der Schlucht angelangt. Wir schlagen uns dreißig Minuten lang durch dichtes Ufergebüsch, um wieder auf den Stampede Trail zurückzukehren. Die zehn Meilen lange Strecke, die wir bereits hinter uns haben - das Stück zwischen der Stelle, wo wir unsere Autos geparkt haben, und dem Fluß - war frei von Hindernissen, übersichtlich und verhältnismäßig viel begangen. Doch die zehn Meilen, die vor uns liegen, sind schon von anderem Kaliber.
    Da sich während der Frühlings und Sommermonate nur sehr wenige Leute über den Teklanika wagen, ist der Weg von Sträuchern überwuchert, und der Trail verliert sich oft im Dickicht. Gleich hinter dem Fluß schwenkt er nach Südwesten ab und führt an einem kleinen sprudelnden Gebirgsbach entlang. Da Biber in diesen Bach eine ganze Reihe miteinander verbundener Dämme gebaut haben, führt der Weg direkt durch einen sumpfigen, drei Hektar großen See. Die Biberteiche sind zwar schlimmstenfalls nur brusttief, aber das Wasser ist eiskalt. Als wir hindurchwaten, verwandelt der von unseren Füßen aufgewühlte Schlamm den Teich in ein übelriechendes Miasma aus verfaulendem Schleim.
    Hinter den Biberteichen geht es einen Hügel hoch, und der Trail schließt wieder zu dem steinigen, gewundenen Gebirgsbach auf, bevor er sich weiter oben erneut im

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