In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Tumor sie langsam auffraß, sie schwächer und schwächer wurde. Ob es sich für sie genauso angefühlt hatte, nach und nach weniger zu werden, zu verblassen, geradezu zu verschwinden? Und wie war es für sie gewesen, zu wissen, dass ihre Zeit unaufhaltsam ablief?
Teds Blick traf sich mit meinem und ein fragendes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Das Wochenende war okay, oder?«
Er meinte das Wochenende, das mit Thanksgiving am vierten Donnerstag im November begonnen hatte. Mein erstes Thanksgiving, und ich hatte gelernt, dass dieses Fest hier viel mehr war als das Erntedankfest bei uns damals im Kindergarten. Es war auch viel mehr als nur ein gebratener Truthahn auf dem Tisch. Thanksgiving war das größte Familienfest des Jahres, noch wichtiger als Weihnachten, weshalb Shane mit seiner Familie schon am Mittwoch zu seinen Großeltern nach San Diego aufgebrochen und bei den Ratnalikars die ganze Sippschaft eingefallen war. Während Matt irgendwie die Balance zwischen dem Familiensinn der Changs und seinem im Augenblick ziemlich komplizierten Bett-Dings mit Holly hinkriegen musste, die Thanksgiving außerdem hasste wie die Pest und über diesem ganzen Familien- und Festtagskram immer eine obermiese Laune bekam.
Ich nickte müde. »Ja, war okay.«
Statt einem ganzen Truthahn hatte es bei Ted und mir Putenbrust auf Mexikanisch gegeben, und ich hatte irgendwie die Kraft zusammengekratzt, nach einem Rezept von Mam einen Käsekuchen zu backen. Ich fand ihn nur leidlich gelungen, aber Ted hatte ihn überschwänglich gelobt und vorgeschlagen, ich solle ein großes Stück zu Mrs Hanson herunterbringen, die verwitwet war und keine Kinder oder Enkel hatte, mit denen sie Thanksgiving feiern konnte; dass ihr Kater ziemlich allergisch auf mich reagierte, hatte mich zum Glück davor gerettet, zu einer Tasse Tee oder Kaffee auf ihr Sofa genötigt zu werden.
Ich konnte momentan nicht gut allein sein, und so hatte ich mich über das lange Wochenende mit meinem Buch zu Ted auf die Couch gehockt, wenn er nachmittags las, und vor mich hingegrübelt oder gedöst. Abends hatten wir Filme geguckt und ich hatte sogar zum ersten Mal mit meiner unbekannten Oma in Palm Springs telefoniert. Ganze drei Minuten Neugierde und Befangenheit auf meiner, höfliches Desinteresse auf ihrer Seite der Leitung und die klare Ansage, dass sie nicht mit Oma , sondern mit Alice angesprochen werden wollte. Ich war froh, als ich den Hörer wieder an Ted übergeben konnte, der das Gespräch ungefähr dreißig Sekunden später mit kurzen, nichtssagenden Sätzen beendete.
Ted betrachtete mich lange und das Lächeln auf seinem Gesicht erlosch. »Wir machen morgen einen Termin beim Arzt. Ich schau mir das nicht länger an mit dir.«
»Mir fehlt nichts. Wirklich!« Ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte. Ich hätte es mir selbst wohl nicht geglaubt; mein Spiegelbild sah so aus, wie ich mich fühlte, dünn und blass, beinahe durchsichtig. Als ob jeden Tag mehr Lebenskraft aus mir hinauströpfelte und irgendwo im Boden unter mir versickerte. Aber kein Arzt der Welt hätte die Ursache dafür finden oder mir helfen können. Höchstens vielleicht ein Schamane oder Voodoo-Priester, wie ich mit einem Anflug von Galgenhumor dachte.
»Hast du … Liebeskummer?«, riet Ted behutsam.
Obwohl mir hundeelend zumute war, musste ich in mich hineinschmunzeln, weil er sich dabei verlegen anhörte. Seit jenen Stunden auf der Holzbank hinter dem Ferry Building letzte Woche hatte ich Nathaniel nicht mehr gesehen. In den ersten Tagen danach war ich noch davon überzeugt gewesen, er hätte es auf die andere Seite geschafft, aber inzwischen war ich mir da nicht mehr so sicher. Bauchgefühl. Trotzdem brachte ich es nicht über mich, in die Franklin Street zu gehen. Zu tief saß der Schock über das, was ich von diesen Erinnerungen an sein früheres Leben gesehen hatte; in manchen Nächten träumte ich noch davon und wachte dann jedes Mal schweißgebadet auf. Ich bekam einfach den Nathaniel von damals nicht mit dem Nathaniel zusammen, den ich kannte, der zwar nicht gerade weich und zahm gewesen war, aber nachdenklich und sensibel, und manchmal ein bisschen scheu. Der so zärtlich sein konnte und dem ich so sehr vertraute, dass ich ihm mein Herz geschenkt hatte und mein erstes Mal.
Ich wickelte mich fester in Mams Strickjacke. »So in etwa, ja.«
»Magst du drüber reden?«
Dank Thanksgiving war ich bisher drum herumgekommen, den anderen gestehen zu müssen, dass
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