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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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irgendwie leichter; leichter als es an einer Schule voller »Normalos« gewesen wäre.
    Aber obwohl ich froh war, dass ich in der bunt zusammengewürfelten Masse der Schüler an der Jefferson High untertauchen konnte, fühlte ich mich manchmal doch verdammt allein. Als hätte ich die Glasscheibe, die mich in Deutschland von den anderen getrennt hatte, mit hierhergebracht. Und dass ich mit kaum einem Mitschüler mehr als zwei Kurse gemeinsam hatte, machte es nicht einfacher. Ich war einigermaßen okay, mehr aber auch nicht. Das wird schon noch , hatte mich Gabi letzten Sonntag am Telefon zu trösten versucht. Hab ein bisschen Geduld! Vor allem mit dir selbst.
    Seufzend stellte ich meinen Rucksack auf dem Boden ab und streckte die Hand nach meiner Jacke aus, als ich aus dem Augenwinkel etwas aufleuchten sah. In Knallpink. Oder Magenta.
    Matt Chang stiefelte den Korridor entlang, in einer übergroßen Kapuzenjacke und die Baggypants in Falten auf den Sneakers aufstehend; offenbar hatte eine Vorladung zur Rektorin wegen eines Verstoßes gegen die (übrigens recht lässige) Kleiderordnung an der Jefferson High andere Konsequenzen als das Umfärben der Haare von punkig zurück auf normal.
    Ein Hi lag mir schon auf der Zunge, aber den Blick ganz auf das Display seines iPods gerichtet, schlappte er einfach auf quietschenden Gummisohlen an mir vorbei, eingehüllt in den Klang scheppernder Beats und dunkler Bässe aus seinen Kopfhörern. In Geschichte ließ er zwar keine Gelegenheit aus, Witze zu reißen, aber außerhalb der Stunde sah ich ihn immer nur mit verstöpselten Ohren, den Blick irgendwie nach innen gekehrt. Manchmal saß er so auch in der Cafeteria über sein Tablett gebeugt, wenn er nicht mit ein paar Jungs zusammenhockte, die aussahen, als wollten sie am nächsten Casting für The Big Bang Theory teilnehmen.
    Ich zog meine Jacke aus dem Schließfach und hielt inne. Plötzlich fühlte ich mich unbehaglich. Fast wie dieses Gefühl, das einem durch Mark und Bein fährt, wenn Kreide über die Tafel kreischt. Und ein bisschen so, als würde ich beobachtet.
    Ich wandte den Kopf. Der Korridor lag leer und verlassen da. Nur an der Tür zur Jungstoilette lehnte eine schmale Gestalt in hellen Jeans und weißem Hemd. Ein Junge mit stoppelkurzen Haaren, der mich fixierte, die umschatteten blauvioletten Augen beinahe schwarz im blassen Gesicht. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er in einem meiner Kurse saß, aber ich hatte ihn schon einmal irgendwo hier an der Schule gesehen. Ein Gesicht in der Flut von rund zweitausend Schülern, die jeden Tag an mir vorüberzog und von denen ich nur einen Bruchteil langsam zuordnen lernte.
    Ein erstickter Laut, ein mehrfaches Poltern und Klatschen ließen mich herumfahren. Aufgeschlagene Bücher und lose Blätter breiteten sich auf dem Boden aus. Dahinter kniete ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren, die ihr ins Gesicht fielen, genauso pechschwarz wie ihre Jeans und ihre Sneakers. Sie sammelte ihre Sachen wieder ein. Ich stopfte meine Jacke zurück in das Schließfach und ging zu ihr. »Warte, ich helf dir …«
    »Verpiss dich!« Ihre Hände zitterten, während sie ihre Notizen und Bücher zusammenraffte; ihre Nägel sahen abgekaut aus und der schwarze Nagellack darauf war abgeblättert.
    Meine Brauen hoben sich. »Ich wollte dir doch nur hel…« Ich verstummte.
    Das Mädchen trug einen schwarzen Pullover mit überlangen Ärmeln; an einem davon war auf der Höhe des Handgelenks ein Stück Naht aufgeplatzt, und für einen Sekundenbruchteil glaubte ich, ich hätte eine wulstige, längs verlaufende Narbe auf der Innenseite aufblitzen sehen, grell leuchtend auf ihrer olivfarbenen Haut.
    Sie warf den Kopf zurück und musterte mich unter verkniffenen Brauen. Eigentlich war sie unwahrscheinlich hübsch mit ihrem herzförmigen Gesicht und den riesigen nussbraunen Augen. Aber der fast weiße Puder, den sie aufgetragen hatte, ließ ihre Haut fleckig wirken, und der breite schwarze Kajalrand und der extrem dunkle Lippenstift erschlugen ihre feinen Züge. »Is was?!«
    »N-nein.« Mein Blick blieb an dem massiven silbernen Kruzifix hängen, das an einer langen Kette vor ihrer Brust baumelte.
    »Dann glotz nicht so!« Ihre Unterlagen in den überkreuzten Armen an sich gepresst, stand sie schnell auf, wirbelte auf dem Absatz herum und hastete im Laufschritt davon.
    Zu verdutzt, um gekränkt zu sein, sah ich Goth-Girl hinterher. Dann drehte ich mich um.
    Der Junge an der Toilettentür war

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