In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
und beleuchtete Teds konzentrierte Miene. Die Hände in den Taschen meiner Jeans, lehnte ich mich gegen den Türrahmen. Wenn es in der Sacramento Street still wurde, so wie jetzt, konnte ich aus der Ferne das unaufhörliche metallene Rattern der Cable Cars aus der parallel verlaufenden California Street hören, und ab und zu das Gebimmel ihrer Glocken. Erst mitten in der Nacht, irgendwann nach eins, verstummten diese Geräusche, aber wenn ich morgens gegen sechs schlaftrunken ins Bad taumelte, hatten sie schon wieder eingesetzt.
»Hey.«
Teds Kopf ruckte hoch und sofort erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Hey.« Er warf noch einen schnellen Blick auf den Bildschirm und griff dann zu seinem Kaffeebecher, der zwischen den Papierstapeln eingeklemmt stand. »Vorhin kam die Mail, dass deine Sachen da sind. Ich ruf gleich morgen früh wegen eines Transporters an und dann holen wir sie so schnell wie möglich.«
Ich nickte und ließ meine Augen durch den Raum wandern. Der Ballen Plastikfolie hinter der Tür war verschwunden und hatte einen massigen und sichtbar alten Ledersessel enthüllt. Auch einige der Kisten fehlten; ihr Inhalt hatte die Regale und Vitrinen bezogen, darunter mehrere grotesk aussehende Statuen und Figuren, die im Zwielicht schauerlich wirkten. Kein Wunder, dass ich nachts schlecht schlief.
Ted trank einen Schluck Kaffee und musterte mich dann über den Becher hinweg. »Hast du was auf dem Herzen?«
Ich schüttelte den Kopf und lehnte die Schläfe gegen das Holz des Rahmens.
»Ich aber.« Ich sah ihn fragend an und er verzog das Gesicht. »Ich werde in den nächsten Wochen länger arbeiten müssen. Lässt sich leider nicht ändern, obwohl ich«, er nickte zum Computerbildschirm hin, »bis zuletzt alles versucht hab, das umzuorganisieren. Deshalb wollte ich dich bitten, nach der Schule im Beacon zu bleiben, bis ich dich abhole.«
Beacon, Leuchtturm , hieß das Programm der Jefferson High, das den Schülern ab dem Nachmittag bis zum Abend Betreuung anbot. Gruppen für Yoga, Tai-Chi und Kickboxen gab es dort, Kunst- AG s, die Möglichkeit, am gleichnamigen Magazin mitzuarbeiten, und verschiedene Clubs für Afroamerikaner, Asiaten, Schwule und Lesben. Regelmäßige Treffen von Literaturfans fanden dort statt und auch speziell eines für Mädchen. Man konnte in den Räumen des Beacon aber auch einfach nur unter Aufsicht Hausaufgaben machen oder in einem anderen Zimmer mit seinen Mitschülern auf Sitzecken abhängen.
»Ich kann doch selbst mit dem Bus hierherfahren.«
Ted trank noch einen Schluck Kaffee. »Mir wäre es aber lieber, wenn du deine Zeit mit Gleichaltrigen verbringen würdest als alleine hier zu Hause. Das tut dir auf Dauer nicht gut.« Als ich schwieg, fügte er hinzu: »Und es ist nicht so, dass ich dir nicht traue – aber San Francisco ist keine deutsche Kleinstadt. Der Gedanke, dass du eines Tages die Stadt auf eigene Faust erkunden willst, macht mir Angst. Hier«, sein Kaffeebecher beschrieb einen Bogen, »in Nob Hill ist das kein Problem, hier ist es ruhig. Aber sonst überquert man in der Stadt manchmal nur eine Straße und ist auf einmal in einer Gegend, wo man besser nicht allein unterwegs sein sollte. Oder überhaupt nicht hingehen sollte. Besonders bei Dunkelheit. Besonders als junges Mädchen.«
Da ich sowieso nicht vorhatte, allein durch die Stadt zu ziehen, zuckte ich mit den Schultern. »Okay.«
»Danke.« Er wirkte ehrlich erleichtert, dann zogen sich seine Brauen aber doch zusammen. »Du weißt, was du tust, wenn dir etwas passiert?«
Meine Augen zuckten an die Decke. »Jaaa. Notruf wählen. Neun-eins-eins.« Nine-Eleven. Gruselig.
»Gut.« Ted nickte, dann schielte er mich von der Seite her an. »Sicher, dass du nicht doch was hast, über das du mit mir reden wolltest? Ich hoffe, du weißt, dass du mit allem zu mir kommen kannst.«
Ich zuckte wieder mit den Schultern. Selbst wenn ich gewollt hätte – ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich das, was mich beschäftigte, auch nur halbwegs in Worte fassen sollte.
Ted ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen und fuhr sich unter einem tiefen Ausatmen mit einer Hand durch die Haare. »Schau, Amber, mir ist klar, dass ich für dich ein lausiger Vater war. Und glaub mir, wenn es irgendwie gegangen wäre, hätte ich’s besser gemacht. Und jetzt will ich’s besser machen, aber ich hab noch nicht viel Übung. Deshalb sag’s mir bitte, wenn dir was zu viel ist oder wenn dir was fehlt.« Er lachte kurz auf.
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