In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
rechts kommenden weißen Bus zum Stehen, dann lief unsere Fahrt halbwegs sanft in einer großzügigen Linkskurve aus. Entlang eines niedrigen nostalgischen Eisengitters unter dichten Bäumen wartete schon eine ewig lange Schlange von Menschen darauf, unsere Plätze einzunehmen, sobald der Cable Car auf der Plattform von den Männern in Warnwesten in die andere Richtung gedreht war.
Ich folgte Matt über die Straße, an einem roten Backsteinbau vorbei, der wie eine alte, stillgelegte Fabrik aussah, aber jetzt ein Hotel war, und wir bogen rechts in eine breite Straße ein, die zugleich Hafenviertel wie Touri-Meile war. Maritime Store war ein kleiner Laden in Ziegelrot und Weiß überschrieben, der mit seinen Sprossenfenstern nach Auswandererschiffen vergangener Zeiten aussah. Zahlreiche Fastfoodketten hatten hier ihre Filialen zwischen Läden mit teuren Klamottenmarken und solchen voller Billigvarianten, darunter einer, der After the Quake hieß – »Nach dem Beben«. Nett.
Dauernd musste ich irgendwelchen Menschen ausweichen oder aufpassen, dass ich niemanden anrempelte. Souvenirsupermärkte gab es und kleinere Shops mit Postkarten und Touristenkitsch, Schmuckläden, Eisdielen und Süßwarentempel. Auf der linken Seite reihten sich Restaurants und Fressbuden aneinander und in einer breiten Lücke zwischen den Häusern dümpelten im Wasser eine Anzahl schicker weißer Boote herum. Und gleich darauf verriet mir ein übergroßes Schild in Form eines Schiffsteuerrads mit einer roten Krabbe in der Mitte, wo wir gerade waren: Fisherman’s Wharf of San Francisco. Es roch nach Hafen und Meer, und auch der kräftige Wind trug einen Hauch von See in sich, während über uns die Möwen kreischten.
Wir wechselten die Straßenseite und gingen zwischen Rasenstreifen und Platanen hindurch, vorbei an vielen Segelbooten und kleinen Schiffen, die auf der Wasserseite vertäut waren und deren Masten im Wind wippten. Kurz musste ich an zu Hause denken, an die Promenade am See. Aber hier war natürlich alles ein paar Nummern größer und bei uns hatten wir eben keine solchen nostalgischen Straßenbahnen unmittelbar daneben und auch keine mehrspurige, dicht befahrene Straße.
Am meisten war vor dem blau-weiß überschriebenen Pier 39 mit dem Hard Rock Café San Francisco los. Zwischen verschiedenen Läden in Holzhäusern, die nach Sommer, Strand und Meer aussahen, tummelten sich Massen von Touristen auf einem Weg, der aus Holzdielen bestand und etwas von einem Bootssteg hatte. Von überallher war dort Musik zu hören. Wir folgten der Hauptstraße, dem Embarcadero, über den unzählige Leute bummelten und den einzelne Männer und Frauen in Sportklamotten entlangjoggten. Ein Breakdancer zuckte zu den ersten Beats seines Ghettoblasters mit den Armen und Beinen; ein paar Schritte weiter fing ein Straßenmusiker an, auf seiner Gitarre zu klimpern, unterbrach sich und tunte den Verstärker neu. Ein Luftballonkünstler knotete einen langen, dünnen Ballon im Nu zu einem Königspudel und eine dieser golden angezogenen und angemalten lebenden Statuen verharrte in einer dramatischen Pose.
Hinter Rasenflächen und einer Terrasse aus Holz mit Parkbänken und Blick auf Alcatraz tauchte vor uns eine breite weiße Front auf, die Ähnlichkeit mit einem restaurierten Bahndepot besaß: die Eingänge zu den verschiedenen Piers, von denen die Schiffe abfuhren. Mit den Tickets, die Matt uns vorab besorgt hatte, stellten wir uns an Pier 33 für die Fahrt nach Alcatraz an, in eine durch Seilabsperrungen mehrfach gewundene Menschenschlange. Während wir warteten und immer wieder einige Schritte aufrückten, erzählte Matt mir, dass er wegen der Leukämie ein ganzes Schuljahr verpasst hatte und danach noch oft krank gewesen war. Zum Glück hatte er dank seiner großzügigen Ausstattung an Hirnmasse in der Schule nicht allzu viel versäumt. Im Gegenteil: Er schien ein ziemlicher Überflieger zu sein, und dadurch, dass er früher viel Zeit zu Hause verbringen musste, hatte er angefangen, sich mit Computern zu beschäftigen; später wollte er mal irgendwas in die Richtung machen. Mit breitem Grinsen, den Arm um meine Schultern gelegt, posierten Matt und ich brav vor einer grün bespannten Wand – obwohl wir nicht vorhatten, das Foto zu kaufen, in das anstelle des Grüns anschließend die Insel von Alcatraz reinkopiert wurde. Ich erzählte ihm im Gegenzug, dass ich gerne Literatur studieren würde, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, was ich danach damit
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