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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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den großen Schrank, die kahlen Wände und zwei Stühle. Meine Beine in den schmutzigen Verbänden waren kerzengerade im Bett ausgestreckt. Ich gab mir Mühe, sie nicht zu bewegen. Ich war durstig und langte nach der Klingel und drückte auf den Knopf. Ich hörte die Tür gehen und sah auf, es war eine Schwester. Sie sah jung und hübsch aus.
    «Guten Morgen», sagte ich.
    «Guten Morgen», sagte sie und kam an mein Bett. «Wir konnten den Doktor noch nicht erreichen. Er ist an den Comer See gefahren. Es wußte niemand, daß ein Patient kommen würde. Was fehlt Ihnen denn überhaupt?»
    «Ich bin verwundet. In den Beinen und Füßen, und mein Kopf ist verletzt.»
    «Wie heißen Sie?»
    «Henry, Frederic Henry.»
    «Ich werde Sie waschen, aber wir können nichts an Ihren Verbänden machen, bis der Doktor kommt.»
    «Ist Miss Barkley hier?»
    «Nein. Hier heißt niemand so.»
    «Wer war denn die Frau, die geweint hat, als ich eingeliefert wurde?»
    Die Schwester lachte. «Das war Mrs. Walker. Sie hatte Nachtdienst und war eingeschlafen. Sie hatte niemand erwartet.»
    Während wir uns unterhielten, zog sie mich aus, und als ich unbekleidet bis auf die Verbände dalag, wusch sie mich sehr zart und sorgfältig. Das Waschen war sehr wohltuend. Ich hatte einen Verband um den Kopf, aber sie wusch um ihn herum.
    «Wo wurden Sie verwundet?»
    «Am Isonzo, nördlich von Plava.»
    «Wo ist das?»
    «Nördlich von Gorizia.»
    Ich merkte, daß keiner dieser Namen ihr irgend etwas sagte.
    «Haben Sie starke Schmerzen?»
    «Nein, jetzt nicht.»
    Sie steckte mir ein Thermometer in den Mund.
    «Die Italiener stecken es unter den Arm», sagte ich.
    «Nicht sprechen.» Als sie das Thermometer herausgenommen hatte, las sie es ab und schüttelte es herunter.
    «Wie ist die Temperatur?»
    «Das sollen Sie eigentlich nicht wissen.»
    «Sagen Sie mir wieviel.»
    «Es ist beinah normal.»
    «Ich hab nie Fieber. Meine Beine sind voll von Alteisen.»
    «Was wollen Sie damit sagen?»
    «Sie sind voll von Granatsplittern, alten Schrauben und Sprungfedern und solchen Sachen.»
    Sie schüttelte den Kopf und lächelte.
    «Wenn Sie Fremdkörper in Ihren Beinen hätten, würden sie sich entzünden und Sie hätten Fieber.»
    «Schön», sagte ich. «Wir werden ja sehen, was rauskommt.»
    Sie ging aus dem Zimmer und kam mit der alten Schwester, der vom frühen Morgen, zurück. Sie machten mein Bett zu zweit, während ich darin lag. Das war mir neu und schien bewundernswert.
    «Wer hat hier die Aufsicht?»
    «Miss Van Campen.»
    «Wieviel Schwestern sind hier?»
    «Nur wir beiden.»
    «Bleiben Sie so wenig?»
    «Es kommen noch welche.»
    «Wann werden die hier sein?»
    «Ich weiß nicht. Sie fragen ein bißchen viel für einen kranken Jungen.»
    «Ich bin nicht krank», sagte ich. «Ich bin verwundet.» Sie waren mit dem Bettenmachen fertig, und ich lag mit einem zweiten Laken über mir. Mrs. Walker ging hinaus und kam mit einer Pyjama-Jacke zurück. Sie zogen sie mir an, und ich fühlte mich sehr sauber und angezogen.
    «Sie sind furchtbar nett zu mir», sagte ich. Die Schwester, die Miss Gage hieß, kicherte. «Kann ich einen Schluck Wasser bekommen?» fragte ich.
    «Gewiß, und dann können Sie frühstücken.»
    «Ich möchte kein Frühstück. Können Sie bitte die Fensterladen aufmachen?»
    Im Zimmer war gedämpftes Licht, aber als die Fensterladen geöffnet waren, war helles Sonnenlicht, und ich sah hinaus auf einen Balkon, und dahinter lagen die Schieferdächer von Häusern und Schornsteine. Ich sah hinaus über die schieferbedeckten Dächer hinweg und sah weiße Wolken und den Himmel sehr blau.
    «Wissen Sie nicht, wann die anderen Schwestern ankommen?»
    «Warum? Kümmern wir uns nicht genug um Sie?»
    «Sie sind sehr nett.»
    «Wollen Sie das Stechbecken benutzen?»
    «Ich kann es mal versuchen.»
    Sie halfen mir und hielten mich, aber es ging nicht. Nachher lag ich da und sah durch die offenen Türen auf den Balkon.
    «Wann kommt der Doktor?»
    «Sobald er zurück ist. Wir haben versucht, ihn telefonisch am Comer See zu erreichen.»
    «Gibt es nicht noch andere Ärzte?»
    «Er ist der Lazarettarzt.»
    Miss Gage brachte einen Krug Wasser und ein Glas. Ich trank drei Glas voll, und dann ließen sie mich allein, und ich guckte eine Weile aus dem Fenster und schlief wieder ein. Ich aß etwas Mittagessen, und am Nachmittag kam Miss Van Campen, die Oberaufsicht, mich besuchen. Sie mochte mich nicht und ich mochte sie auch nicht. Sie war klein und

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