In einem anderen Land
sagte der Lazarettarzt mit den zarten Fingern.
«Wie geht's?» fragte der große, hagere Arzt mit dem Bart. Der dritte Doktor, der die Röntgenaufnahmen in den roten Umschlägen trug, sagte gar nichts.
«Die Verbände abnehmen?» fragte der bärtige Doktor.
«Selbstverständlich. Bitte, Schwester, nehmen Sie die Verbände ab», sagte der Lazarettarzt zu Miss Gage. Miss Gage entfernte die Verbände. Ich sah an meinen Beinen herunter. Im Feldlazarett hatten sie wie nicht zu frische geschabte Frikadellen ausgesehen. Jetzt waren sie verschorft, und das Knie war geschwollen und farblos, und die Wade war verfallen, aber es war kein Eiter darin.
«Sehr sauber», sagte der Lazarettarzt. «Sehr sauber und schön.»
«Hm», sagte der Doktor mit dem Bart. Der dritte Arzt sah über die Schulter des Lazarettarztes.
«Bitte, bewegen Sie das Knie», sagte der bärtige Doktor.
«Ich kann nicht.»
«Wollen wir das Gelenk untersuchen?» fragte der bärtige Doktor. Er hatte drei Sterne und einen Streifen auf dem Ärmel. Dies bedeutete, daß er ein Oberstabsarzt war.
«Gewiß», sagte der Lazarettarzt. Zwei von ihnen ergriffen sehr vorsichtig mein rechtes Bein und bogen es.
«Das tut weh», sagte ich.
«Ja, ja, noch ein bißchen weiter, Doktor.»
«Das ist genug. Weiter geht's nicht», sagte ich.
«Partielle Versteifung», sagte der Oberstabsarzt. Er richtete sich auf. «Kann ich bitte noch einmal die Platten sehen, Doktor?»
Der dritte Arzt reichte ihm eine der Platten. «Nein, bitte das linke Bein.»
«Das ist das linke Bein, Doktor.»
«Sie haben recht, ich hielt es verkehrt.» Er gab die Platte zurück. Die andere Platte sah er sich lange an. «Sehen Sie, Doktor?» sagte er und zeigte auf einen Fremdkörper, der rund und klar gegen das Licht sichtbar war. Sie sahen sich eine ganze Weile lang die Platte an.
«Ich kann nur eines sagen», sagte der Oberstabsarzt mit dem Bart. «Es ist eine Frage der Zeit. Drei Monate, vielleicht auch sechs.»
«Gewiß, die Gelenkflüssigkeit muß sich erst wieder erneuern.»
«Gewiß ist es eine Frage von Zeit. Ich könnte nicht mit gutem Gewissen ein Knie aufschneiden, bevor das Geschoß sich verkapselt hat.»
«Ich bin ganz Ihrer Meinung, Doktor.»
«Sechs Monate wofür?» fragte ich.
«Sechs Monate, bis sich das Geschoß verkapselt hat, bevor das Knie ohne Gefahr geöffnet werden kann.»
«Das glaube ich einfach nicht», sagte ich.
«Wollen Sie Ihr Knie behalten, junger Mann?»
«Nein», sagte ich.
«Wie?»
«Ich will, daß man es abnimmt», sagte ich, «damit ich einen Haken daran tragen kann.»
«Was meinen Sie? Einen Haken?»
«Er scherzt», sagte der Lazarettarzt. Er klopfte mir sehr zart auf die Schulter. «Er will sein Knie behalten. Er ist ein sehr tapferer junger Mann. Er ist für die silberne Tapferkeitsmedaille eingegeben.»
«Meinen Glückwunsch», sagte der Oberstabsarzt. Er schüttelte mir die Hand. «Ich kann nur sagen, daß man, um sicherzugehen, mindestens sechs Monate warten sollte, ehe man ein solches Knie aufmacht. Sie können natürlich eine andere Meinung hören.»
«Danke sehr», sagte ich. «Ich schätze Ihre Meinung sehr.»
Der Oberstabsarzt sah auf die Uhr.
«Wir müssen gehen», sagte er. «Alles Gute.»
«Alles Gute und vielen Dank», sagte ich. Ich gab dem dritten Doktor die Hand. «Capitano Varini - Tenente Enry.» Und sie verließen alle drei das Zimmer.
«Miss Gage», rief ich. Sie kam herein. «Bitte rufen Sie den Lazarettarzt noch einen Augenblick herein.»
Er kam herein, hielt seine Mütze in der Hand und stand am Bett. «Sie wollten mich sprechen?»
«Ja, ich kann nicht sechs Monate mit der Operation warten. Mein Gott, haben Sie schon mal sechs Monate zu Bett gelegen?»
«Sie brauchen ja nicht die ganze Zeit zu liegen. Sie müssen erst die Wunden von der Sonne bestrahlen lassen. Dann können Sie auf Krücken gehen.»
«Sechs Monate und dann operiert werden?»
«Das ist die sicherste Art. Die Fremdkörper müssen Zeit haben, sich zu verkapseln, und die Gelenkflüssigkeit wird sich erneuern. Dann ist es ungefährlich, Ihr Knie zu öffnen.»
«Glauben Sie wirklich, daß ich so lange warten muß?»
«Das ist der sicherste Weg.»
«Wer ist dieser Oberstabsarzt?»
«Er ist einer der besten Chirurgen Mailands.»
«Er ist Oberstabsarzt, nicht wahr?»
«Ja, aber er ist ein ausgezeichneter Chirurg.»
«Ich will nicht, daß ein Oberstabsarzt an meinem Bein rumprobiert. Wenn er was könnte, wäre er Generaloberarzt. Ich weiß, was
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