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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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umgehen könne. Man solle Bewegungsmöglichkeiten haben, und ein Berg sei nicht sehr beweglich. Außerdem schösse man bergab immer zu weit. Wenn die Flanke umgangen würde, blieben die besten Soldaten auf den höchsten Bergen. Ich hielt nicht viel von einem Gebirgskrieg. Ich hatte viel darüber nachgedacht, sagte ich. Man zwackte einem einen Berg ab, und der andere zwackte einem einen anderen Berg ab, aber wenn's wirklich Ernst wurde, mußten alle von den Bergen hinabsteigen.
    «Was sollte man aber machen, wenn man eine Gebirgsgrenze hat?» fragte er.
    «Das habe ich mir noch nicht überlegt», sagte ich, und wir lachten beide. «Aber», sagte ich, «in früheren Zeiten wurden die Österreicher immer in der viereckigen Ebene um Verona herum geschlagen. Man ließ sie in die Ebene herunterkommen und schlug sie dort.»
    «Ja», sagte Gino, «aber das waren Franzosen, und man kann militärische Probleme leicht lösen, wenn man auf fremdem Boden kämpft.»
    «Ja», gab ich zu. «Das eigene Land kann man nicht so wissenschaftlich auswerten.»
    «Die Russen taten's, um Napoleon in die Falle zu locken.»
    «Ja, aber sie hatten viel Land. Wenn ihr zurückweichen wolltet, um Napoleon in Italien in die Falle zu locken, würdet ihr in Brindisi sein.»
    «Eine entsetzliche Stadt», sagte Gino. «Warst du jemals dort?»
    «Nicht für länger.»
    «Ich bin ein Patriot», sagte Gino, «Aber ich kann weder Brindisi noch Tarent lieben.»
    «Liebst du Bainsizza?» fragte ich.
    «Der Boden ist heilig», sagte er. «Aber ich wünschte, er erzeugte mehr Kartoffeln. Weißt du, als wir herkamen, fanden wir ganze Kartoffelsäcke, die die Österreicher gesetzt hatten.»
    «Ist das Essen wirklich knapp?»
    «Ich selbst bin nie satt geworden, aber ich bin ein starker Esser und bin schließlich nicht verhungert. Das Kasino ist mittelmäßig. Die Regimenter ganz vorn bekommen recht gutes Essen, aber die Ersatztruppen kriegen nicht soviel. Irgendwo stimmt was nicht. Es müßte reichlich zu essen da sein.»
    «Die Schieber verkaufen es woanders.»
    «Ja. Man gibt den Bataillonen in der vordersten Linie so viel man kann, aber die, die weiter zurückliegen, sind sehr knapp daran. Alle österreichischen Kartoffeln und die Kastanien aus den Wäldern sind aufgefuttert. Man sollte uns besser ernähren. Wir sind starke Esser. Ich bin davon überzeugt, daß es genug Nahrungsmittel gibt. Es ist sehr schlecht für die Soldaten, zu wenig zu essen zu haben. Hast du je den Unterschied bemerkt, den es in der Gesinnung ausmacht?»
    «Ja», sagte ich. «Es gewinnt keinen Krieg, aber es kann einen verlieren.»
    «Wir wollen nicht über verlieren reden. Es wird genug über verlieren gesprochen. Was diesen Sommer geschehen ist, kann nicht umsonst gewesen sein.»
    Ich sagte nichts. Mich verwirrten immer Worte wie heilig, ruhmreich und Opfer und der Ausdruck umsonst. Wir hatten sie manchmal im Regen stehend beinahe außer Hörweite vernommen, so daß nur die lautesten Worte durchdrangen, und hatten sie auf Proklamationen gelesen, die von Zettelanklebern über andere Proklamationen angeklebt wurden, noch und noch, und ich hatte nichts Heiliges gesehen und die ruhmreichen Dinge waren ohne Ruhm und die Blutopfer waren wie die Schlachthöfe in Chicago, wenn das Fleisch zu nichts benutzt, sondern nur begraben wurde. Es gab viele Worte, die man nicht mit anhören konnte, und schließlich hatten nur noch Ortsnamen Würde. Mit gewissen Zahlen war es dasselbe, und mit gewissen Daten, und diese mit den Ortsnamen zusammen war alles, was man sagen konnte, so daß es etwas bedeutete. Abstrakte Worte wie Ruhm, Ehre, Mut oder heilig waren obszön neben konkreten Namen von Dörfern, Nummern von Straßen, Namen von Flüssen, Nummern von Regimentern und Daten. Gino war Patriot, darum sagte er manchmal Dinge, die uns trennten, aber er war auch ein netter Junge, und ich verstand, daß er patriotisch war. Er war so geboren. Er fuhr mit Peduzzi im Auto nach Gorizia zurück.
    Diesen ganzen Tag über stürmte es. Der Wind jagte den Regen herunter und überall stand Wasser und Schlamm. Der Mörtel der zerstörten Häuser war grau und naß. Spät am Nachmittag hörte es auf zu regnen, und von der Stellung Nummer zwei sah ich das kahle, nasse, herbstliche Land mit Wolken über den Spitzen der Berge und den nassen, triefenden Strohbelag über der Straße. Die Sonne kam einmal durch, bevor sie unterging, und schien auf die kahlen Wälder jenseits des Kammes. Es gab viele österreichische

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