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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Verwundeten von hier in die Sammelplätze ab.»
    «Manchmal räumen wir auch von den Sammelplätzen in die Feldlazarette», sagte ich. «Sagen Sie mir, ich habe noch nie einen Rückzug gesehen - wenn es einen Rückzug gibt, wie werden alle die Verwundeten abtransportiert?»
    «Werden sie nicht. Man nimmt so viele, wie's geht und die übrigen läßt man da.»
    «Was soll ich in den Wagen mitnehmen?»
    «Lazaretteinrichtungen.»
    «Schön», sagte ich.
    Am nächsten Abend begann der Rückzug. Wir hörten, daß die Österreicher und Deutschen im Norden durchgebrochen waren und durch die Bergtäler nach Cividale und Udine herunterkamen. Der Rückzug war geordnet, naß und trübe. Nachts auf den überfüllten Straßen fuhren wir langsam im Regen an marschierenden Truppen, Geschützen, Wagen ziehenden Pferden, Maultieren und motorisierten Lastwagen vorbei, die sich alle von der Front wegbewegten. Es war nicht mehr Unordnung als bei einem Vormarsch.
    In jener Nacht halfen wir die Feldlazarette leeren, die in den am wenigsten zerstörten Dörfern des Hochplateaus eingerichtet worden waren, und brachten die Verwundeten nach Plava am Flußbett, und am nächsten Tag fuhren wir den ganzen Tag im Regen, um die Lazarette und Sammelplätze in Plava zu räumen. Es regnete ohne aufzuhören, und die Armee der Bainsizza bewegte sich in dem Oktoberregen von der Hochebene hinab und über den Fluß, wo die großen Siege im Frühling dieses Jahres begonnen hatten. Wir kamen Mitte des nächsten Tages nach Gorizia. Es hatte aufgehört zu regnen und die Stadt war beinahe leer. Als wir die Straße heraufkamen, lud man gerade die Mädchen vom Mannschaftsbordell auf einen Lastwagen. Es waren sieben Mädchen, und sie hatten ihre Hüte und Mäntel an und kleine Reisetaschen in der Hand. Zwei von ihnen weinten. Von den anderen lächelte uns eine an und streckte die Zunge heraus und bewegte sie auf und ab. Sie hatte dicke, volle Lippen und schwarze Augen.
    Ich hielt den Wagen an und sprach mit der Puffmutter. Die Mädchen aus dem Offiziersbordell waren früh am Morgen weggebracht worden, sagte sie. Wo fuhren sie hin? Nach Conegliano, sagte sie. Der Lastwagen fuhr los. Das Mädchen mit den dicken Lippen streckte uns von neuem die Zunge heraus. Die Puffmutter winkte. Die zwei Mädchen weinten weiter. Der anderen sahen sich interessiert in der Stadt um. Ich stieg wieder auf.
    «Wir sollten uns denen anschließen», sagte Bonello. «Das wär 'ne feine Fahrt.»
    «Es wird schon eine tolle Fahrt werden», sagte ich.
    «Eine tolle Scheißfahrt.»
    «Das meinte ich», sagte ich. Wir kamen die Anfahrt zur Villa hinauf.
    «Ich wäre gern dabei, wenn ein paar von diesen kessen Jungens reinklettern und was riskieren.»
    «Glaubst du, die werden?»
    «Sicher. Jeder in der zweiten Armee kennt die Puffmutter da.» Wir waren draußen vor der Villa.
    «Man nennt sie die Äbtissin», sagte Bonello. «Die Mädchen sind neu, aber die Alte kennt jeder. Die müssen gerade vorm Rückzug angekommen sein.»
    «Die werden was erleben.»
    «Und ob die was erleben werden! Ich hätte gern eine kleine Kostprobe von denen umsonst gehabt. In dem Puff da kostet es auf jeden Fall viel zuviel. Die Regierung nimmt uns aus.»
    «Nehmt den Wagen und laßt ihn von den Mechanikern nachsehen», sagte ich. «Wechselt Öl und seht die Differentiale nach. Füllt Öl auf und dann schlaft ein bißchen.»
    «Ja, Signor Tenente.»
    Die Villa war leer. Rinaldi war mit dem Lazarett weg. Der Major war weg und hatte Lazarettpersonal in seinem Stabsauto mitgenommen. Auf dem Fenster lag ein Zettel für mich, ich solle die Wagen mit allem, was im Gang stand, beladen und nach Pordenone folgen. Die Mechaniker waren schon fort. Ich ging wieder raus in die Garage. Die anderen beiden Wagen kamen an, während ich da war, und die Fahrer kletterten herunter. Es fing wieder an zu regnen.
    «Ich bin so schläfrig; ich bin dreimal auf dem Weg von Plava hier herunter eingeschlafen», sagte Piani. «Was sollen wir jetzt machen, Tenente?»
    «Öl wechseln, abschmieren, nachfüllen, vorfahren und den Krempel aufpacken, den sie dagelassen haben.»
    «Dann fahren wir los?»
    «Nein, wir wollen drei Stunden schlafen.»
    «Himmel, freu ich mich aufs Schlafen», sagte Bonello. «Ich konnte beim Fahren kaum wach bleiben.»
    «Wie ist dein Wagen, Aymo?» fragte ich.
    «Ganz in Ordnung.»
    «Hol mir einen Monteurkittel, und ich helf dir mit dem Öl.»
    «Lassen Sie man, Tenente», sagte Aymo. «Ist ja nicht der Rede wert.

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