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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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ich würde das Ufer schon auf irgendeine Weise erreichen, und ich würde in einer üblen Lage sein, wenn ich barfuß landete. Ich mußte irgendwie nach Mestre gelangen.
    Ich beobachtete, wie das Ufer näher kam, dann fortschwang, dann wieder näher kam. Wir trieben langsamer. Das Ufer war jetzt sehr nahe. Ich konnte Zweige an den Weidenbüschen sehen. Der Balken drehte langsam, so daß das Ufer hinter mir lag, und ich wußte, daß wir in einem Strudel waren. Wir trieben langsam herum. Als ich das Ufer jetzt dicht vor mir sah, versuchte ich, mich mit einem Arm festzuhalten und mit dem andern den Balken schwimmend und stoßend dem Ufer zuzutreiben, aber ich brachte ihn nicht näher. Ich hatte Angst, daß wir aus dem Strudel herauskommen würden, und mich mit einer Hand haltend, zog ich meine Füße hoch gegen die Seite des Balkens, und stieß mit aller Kraft auf das Ufer zu. Ich konnte das Gebüsch sehen, aber trotz heftigster Schwimmanstrengungen riß mich die Strömung fort. Ich dachte, daß ich wegen meiner Stiefel ertrinken würde, aber ich schlug und kämpfte mich durch das Wasser, und als ich aufsah, kam das Ufer auf mich zu, und ich schlug und schwamm in einer bleifüßigen Panik, bis ich es erreichte. Ich hielt mich an dem Weidenast und hatte nicht genug Kraft, mich hinaufzuziehen; aber ich wußte, jetzt würde ich nicht mehr ertrinken. An dem Balken hatte ich nie die Idee gehabt, daß ich ertrinken könnte. Ich fühlte mich leer und übel in Magen und Brust von der Anstrengung, und ich hielt mich an den Ästen fest und wartete. Als die Übelkeit fort war, zog ich mich in die Weidenbüsche hinein und ruhte mich wieder aus, meine Arme hatte ich um einen Busch geschlungen und klammerte mich mit den Händen fest an die Zweige. Dann kroch ich heraus, wand mich durch die Weiden hindurch und hinauf ans Ufer. Es war halbes Tageslicht, und ich sah niemand. Ich lag flach am Boden und hörte den Fluß und den Regen.
    Nach einiger Zeit stand ich auf und ging das Ufer entlang. Ich wußte, daß vor Latisana keine Brücke über den Fluß führte. Ich glaubte, gegenüber von San Vito zu sein. Ich überlegte mir, was ich nun machen sollte. Vor mir lief ein Graben in den Fluß. Ich ging darauf zu. Bis jetzt hatte ich niemanden gesehen, und ich setzte mich neben einigen Büschen am Rande des Grabes hin und zog meine Schuhe aus und ließ das Wasser aus ihnen herauslaufen. Ich zog me ine Jacke aus, nahm meine nasse Geldtasche mit meinen nassen Papieren und meinem nassen Geld aus der Innentasche und wrang dann die Jacke aus. Ich zog meine Hose aus und wrang sie auch aus und dann mein Hemd und Unterzeug. Ich schlug und rieb mich, und dann zog ich mich wieder an. Meine Mütze hatte ich verloren.
    Bevor ich meine Jacke anzog, schnitt ich die Stoffsterne von den Ärmeln und steckte sie in die Innentasche zu meinem Geld. Mein Geld war naß, aber in Ordnung. Ich zählte es. Es waren dreitausend und einige Lire. Meine Sachen fühlten sich naß und klamm an, und ich schlug mit den Armen um mich, um die Blutzirkulation in Gang zu halten. Ich hatte wollenes Unterzeug, und ich glaubte nicht, daß ich mich erkälten würde, wenn ich in Bewegung blieb. Meine Pistole hatte man mir auf der Straße abgenommen, und ich steckte die Pistolentasche unter meinen Rock. Ich hatte kein Cape, und es war kalt im Regen. Ich begann die Böschung des Kanals zu erklimmen. Es war Tag, und das Land sah naß, flach und trübe aus. Die Felder waren kahl und naß: sehr weit konnte ich einen Campanile sehen, der aus der Ebene emporragte. Ich kam auf eine Straße hinauf. Vor mir sah ich Truppen die Straße herunterkommen. Ich hinkte am Weg entlang; sie kamen an mir vorbei und beachteten mich nicht. Es war eine Maschinengewehrabteilung, die dem Fluß zu marschierte. Ich ging weiter die Straße hinunter.
    An dem Tag marschierte ich quer durch die venezianische Ebene. Es ist Flachland, und im Regen ist es noch flacher. Dem Meer zu sind Salzmarschen und sehr wenige Straßen. Die Straßen führen alle an den Flußmündungen entlang zum Meer, und um das Land zu durchqueren, muß man den Wegen an den Kanälen folgen. Ich arbeitete mich vom Norden nach Süden durchs Land und hatte zwei Eisenbahnlinien und viele Straßen bereits gekreuzt und schließlich kam ich am Ende eines Weges auf eine Eisenbahnlinie, die an einer Marsch entlanglief. Es war die Hauptstrecke Venedig- Triest auf einem hohen, massigen Damm, doppelgleisig. Die Gleise ein Stückchen abwärts war ein Depot, und

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