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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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weitergeht, würde man seine Familie ins Unglück stürzen.»
    «Der Krieg geht nicht weiter», sagte ein Soldat. «Wir gehen nach Hause. Der Krieg ist vorbei.»
    «Alle gehen nach Hause.»
    «Wir gehen alle nach Hause.»
    «Kommen Sie, Tenente», sagte Piani. Er wollte an ihnen vorbei.
    «Tenente? Wer ist hier ein Tenente? A basso gli ufficiali! Nieder mit den Offizieren.»
    Piani nahm mich beim Arm. «Ich nenne Sie lieber beim Namen», sagte er. «Es gibt sonst womöglich Unannehmlichkeiten. Man hat einige Offiziere erschossen.» Wir arbeiteten uns an ihnen vorbei.
    «Ich werde nichts schreiben, was eine Familie in Ungelegenheiten bringen wird», setzte ich unsere Unterhaltung fort.
    «Wenn der Krieg vorbei ist, ist es ganz egal», sagte Piani. «Aber ich glaub nicht, daß er vorbei ist. Es klingt zu schön, um wahr zu sein.»
    «Wir werden's bald wissen», sagte ich.
    «Ich glaube nicht, daß er vorbei ist. Alle meinen, daß es vorbei ist, aber ich glaub's nicht.»
    «Viva la pace!» schrie ein Soldat. «Wir gehen nach Hause.»
    «Es wäre herrlich, wenn wir alle nach Hause könnten», sagte Piani. «Würden Sie nicht gern nach Hause gehen?»
    «Doch.»
    «Wir werden's nie erleben», sagte Piani. «Ich glaub nicht, daß es vorbei ist.»
    «Andiamo a casa!» schrie ein Soldat.
    «Sie werfen ihre Gewehre weg», sagte Piani. «Sie nehmen sie ab und lassen sie fallen, während sie weitermarschieren. Dann schreien sie.»
    «Sie sollten ihre Gewehre behalten.»
    «Sie denken, wenn sie ihre Gewehre wegwerfen, kann man sie nicht zum Kampf zwingen.»
    Als wir uns im Dunkeln und im Regen unseren Weg neben der Straße bahnten, sah ich, daß viele Soldaten ihre Gewehre noch behalten hatten. Sie ragten über die Capes hinaus.
    «Welche Brigade seid ihr?» rief ein Offizier.
    «Brigata di pace», rief jemand zurück, «Friedensbrigade.» Der Offizier sagte nichts.
    «Was sagt er? Was sagt der Offizier?»
    «Nieder mit dem Offizier. Viva la pace.»
    «Kommen Sie», sagte Piani. Wir kamen an zwei englischen Sanitätsautos vorbei, die in dem Block von Fahrzeugen stehen gelassen waren.
    «Die sind aus Gorizia», sagte Piani. «Ich kenne die Wagen.»
    «Die sind weiter gekommen als wir.»
    «Sie sind früher aufgebrochen.»
    «Wo wohl die Fahrer sein mögen?»
    «Wahrscheinlich vor uns.»
    «Die Deutschen haben vor Udine haltgemacht», sagte ich. «Die Leute hier werden alle über den Fluß kommen.»
    «Ja», sagte Piani. «Darum glaube ich ja auch, daß der Krieg weitergehen wird.»
    «Die Deutschen könnten weiter vorrücken», sagte ich. «Warum sie das wohl nicht tun?»
    «Ich weiß nicht. In dieser Art Krieg kenne ich mich nicht aus.»
    «Ich nehme an, daß sie auf ihren Nachschub warten müssen.»
    «Ich weiß nicht», sagte Piani. So allein war er viel sanfter. Wenn er mit den anderen zusammen war, war er ein wüster Redner.
    «Bist du verheiratet, Luigi?»
    «Sie wissen doch, daß ich verheiratet bin.»
    «Wolltest du dich darum nicht gefangennehmen lassen?»
    «Das ist einer der Gründe. Sind Sie verheiratet, Tenente?»
    «Nein.»
    «Bonello auch nicht.»
    «Daraus, daß ein Mann verheiratet ist, läßt sich nichts schließen. Aber ich glaube, jeder verheiratete Mann will nach Hause zu seiner Frau», sagte ich. Ich hätte gern über Ehefrauen gesprochen.
    «Ja.»
    «Wie sind deine Füße?»
    «Reichlich wund.»
    Vor Tagesanbruch erreichten wir die Ufer des Tagliamento und folgten dem übergetretenen Ufer bis zur Brücke, wo der ganze Verkehr hinüberging.
    «Man müßte sich hier am Fluß halten können», sagte Piani. Im Dunkeln sahen die Fluten hoch aus. Das Wasser wirbelte; der Fluß war breit. Die hölzerne Brücke war beinahe anderthalb Kilometer lang, und das Wasser, das gewöhnlich in schmalen Kanälen in dem weiten Steinbett tief unter der Brücke floß, war dicht unter den hölzernen Planken. Wir gingen am Ufer entlang und arbeiteten uns dann in die Menge hinein, die die Brücke überquerte. Wie wir so langsam im Regen ein paar Fuß über der Flut, eng gepreßt in der Menge, den Kasten eines Munitionswagens dicht vor uns, hinübergingen, sah ich die Brüstung und beobachtete den Fluß. Jetzt, wo wir nicht unser eigenes Tempo gehen konnten, fühlte ich mich sehr müde. Es war kein Vergnügen, die Brücke zu überqueren. Ich malte mir aus, wie es wohl wäre, wenn ein Flugzeug sie am Tage mit Bomben belegen würde. «Piani», sagte ich.
    «Ich bin hier, Tenente.» Er war etwas vor mir in dem Gedränge. Niemand sprach.

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