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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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glaube, auch dieser Aspekt sprach während des Prozesses gegen uns, denn der erste Eindruck, den wir auf die Strafverfolgungsbehörden machten, war nicht der von Menschen, die am Verhungern oder Verdursten waren. Als uns der Prozess gemacht wurde, waren die Fischer längst wieder in Island, und wir hatten nichts als die schriftliche Aussage des Kapitäns, der nicht hatte voraussehen können, dass man uns verhaften und anklagen würde.
    Dr. Cole bat mich, ihm von der Rettung zu erzählen, doch es fiel mir schwer, Worte zu finden für das, was ich empfand, als ich das Fischerboot aus dem Nebel auftauchen sah wie aus einem Traum. Ich sagte, dass ich die Erinnerung an diesen Moment in einer Schatzkiste in meinem Geist aufbewahren und herausholen würde, wenn das Leben düster und traurig war, denn ich hatte eine Freude und ein Staunen gefühlt wie nie zuvor und niemals seitdem. Dann fragte er mich: »Hoffen Sie, dass wieder ein isländisches Fischerboot am Horizont auftaucht, wenn Sie vor Gericht stehen?« Und ich erwiderte, dass das doch bereits geschehen sei – er selbst sei doch der Kapitän.
    Isabelle, eine sehr ernsthafte und gläubige Person, beharrte darauf, dass wir keinen Bissen von der Nahrung anrührten, ehe wir nicht ausgiebig Dank gesagt hatten, und so verbrachten wir vor jedem Mahl etliche Minuten mit gebeugten Köpfen vor unseren kalt werdenden Tellern und Schüsseln und lauschten, wie sie die vielen Dinge aufzählte, für die wir dankbar sein mussten. Während sie dem Meer dankte, das uns beschützt und genährt hatte, obwohl wir in seiner Gewalt waren, den Fischen und Vögeln, die sich uns als Nahrung dargeboten hatten, und schließlich den Menschen, die zu Tode gekommen waren, damit wir leben konnten, sprach ich mein eigenes stilles Gebet. Ich bat um ein Wunder, das mir Henry zurückgeben würde. Andere erhoben ihre Stimmen und schickten ebenfalls Gebete in den Himmel, und mir war klar, dass auch sie abergläubisch einen Handel mit Gott abschließen wollten, damit er ihre Lieben verschonen möge, ohne den Eindruck zu erwecken, nicht genügend Demut und Dankbarkeit für ihre Rettung zu erübrigen.
    Wie lange mochte ihre neue Gläubigkeit wohl andauern? Unwillkürlich dachte ich an einen Ausspruch von Mr Sinclair. »Jene, die einen Gott erschaffen, müssen ihn auch zerstören.« Dann hatte er mir erklärt, dass das Verhältnis des Menschen zu Gott den Lebenszyklus widerspiegele. »Als Babys«, sagte er, »brauchen wir eine Autoritätsperson, die uns führt und für uns sorgt. Wir zweifeln diese Autorität nicht an und bilden uns ein, dass es jenseits des kleinen Universums unseres Familienlebens nichts weiter gibt, dass es überall genauso ist, wie wir es kennen, und dass alles so ist, wie es sein soll. Wenn wir erwachsen werden, erweitert sich unser Horizont, und wir beginnen, Fragen zu stellen. Das geht so lange, bis wir entweder unsere Schöpfer – also unsere Eltern – vom Thron stoßen und ihren Platz als kreative Kraft in unserem Leben einnehmen oder einen Ersatz für sie finden, weil wir die Angst vor der Verantwortung nicht aushalten. Der Mensch geht entweder den einen oder den anderen Weg, und das ist der Grund für jeden persönlichen inneren Zwiespalt und alle politischen Konflikte der Weltgeschichte.«
    Ich bewunderte die mitreißende Kraft seiner Ausführungen. Er schloss damit alle Menschen ein, die jemals gelebt hatten, und verstieg sich nicht in lästige Nuancen oder Ausnahmen. Nach unserer Rettung war mir klar geworden, dass die Qualen, die wir durchlebt hatten, uns wieder zu hilflosen Kindern gemacht hatten, aber während meines Gesprächs mit Mr Sinclair bezog ich seine Philosophie eher auf Miranda und mich im Kontext meiner Familie. Die universelle Wahrheit entging mir zu diesem Zeitpunkt. Miranda versuchte, unsere Eltern durch eine Autorität von außen zu ersetzen, während ich froh war, von ihnen befreit zu sein. Als ich dies Mr Sinclair anvertraute, erwiderte er: »Sie verfügen über eine ungewöhnliche Stärke.« Und ob das nun stimmte oder nicht, so fühlte ich mich allein schon durch diese Behauptung gestärkt, was wieder einmal die Macht der Worte unter Beweis stellt.
    Am nächsten Tag nahm Mr Sinclair das Thema wieder auf, als wäre keine Minute zwischen unserem letzten Gespräch verstrichen, obwohl sich seitdem ein dramatischer Vorfall ereignet hatte: Rebecca Frost war über Bord gegangen und in letzter Sekunde gerettet worden. »Aber Grace«, sagte er, »wenn Sie, anders

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