In einem Boot (German Edition)
zuzustimmen. Er sagte, er würde die Sache gleich nach dem Mittagessen richtigstellen, und ich gab zurück, das Mittagessen könne warten; er solle das Telegramm jetzt sofort absenden. Gemeinsam verfassten wir eine entsprechende Nachricht. Danach brachte mich Henry zurück zu unserer Kabine und eilte dann davon, augenscheinlich sowohl fest entschlossen, die Sache hinter sich zu bringen, als auch irgendwie erleichtert. Als er wiederkam, mussten wir uns beeilen, damit wir nicht zu spät zum Essen kamen, und so sprachen wir das Thema erst wieder an, als die Mahlzeit beendet war. »Es ist alles erledigt«, sagte er, und mehr konnte er auch nicht sagen, denn als ich ihn nach Einzelheiten fragen wollte, schlug ihm jemand auf die Schulter. Es war Mr Cumberland, der anscheinend Wichtiges mit meinem Mann bereden musste. Henry schien froh zu sein, ihn zu sehen, und fragte mich, ob ich allein den Weg zu unserer Kabine finden würde. Ich hielt die Frage für äußerst merkwürdig; immerhin befanden wir uns seit fünf Tagen auf dem Schiff. »Gewiss doch«, antwortete ich. Damals hatte ich seinen Worten keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt, aber jetzt musste ich ständig daran denken. Jetzt glaubte ich nämlich, dass sie der Beweis dafür waren, dass Henry in Sorge gewesen war, möglicherweise über ein geschäftliches Problem, das seine Aufmerksamkeit erforderte und mit dem er sich bereits in Gedanken beschäftigte, als er mir diese seltsame Frage stellte. »Es ist alles erledigt«, hatte er gesagt, aber während ich nun das Funkeln des Mondscheins auf dem Wasser betrachtete und meine Rettungsweste enger an mich drückte, um den beißenden Wind abzuhalten, fragte ich mich, ob das die Wahrheit war.
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was Mr Cumberland zu Henry gesagt hatte, als sie beide zusammen weggingen. Irgendetwas über die Marconi, die nicht mehr funktionierte, was dazu führte, dass er irgendeine geschäftliche Pflicht nicht erledigen konnte. Nun wollte er mit Henry darüber reden. Henry hatte erwidert: »Aber ich war gerade dort und sie funktionierte tadellos.« Dann warf Henry einen Blick über seine Schulter und nickte mir zu, bevor die beiden Männer ins Gespräch vertieft weggingen.
Als ich auf die Treppe zuging, die zu unserer Kabine führte, hüpfte mein Herz, denn wenn ich diese Worte richtig verstanden hatte, dann waren sie eine Bestätigung dafür, dass Henry die Nachricht an seine Mutter tatsächlich abgeschickt hatte – gerade noch rechtzeitig, denn an diesem Nachmittag sank die Zarin Alexandra . Doch als ich dann im Rettungsboot saß, fragte ich mich, ob Henrys Worte vielleicht gar nicht für Mr Cumberland gedacht gewesen waren, sondern für mich. Dann zerbrach ich mir den Kopf, um mich an den genauen Wortlaut von Mr Cumberlands Aussage zu erinnern, denn wenn es so war, wie ich glaubte, dann wohnte dieser Aussage noch eine ganz andere Bedeutung inne als die Überlegung, ob Henry seine Familie über unsere Eheschließung in Kenntnis gesetzt hatte oder nicht – und zwar die, dass die Marconi möglicherweise kurz vor und während des Untergangs der Zarin Alexandra gar nicht funktionsfähig gewesen war, und wenn das der Fall war, hatten auch keine Funksprüche gesendet werden können. Und wenn keine Funksignale abgesetzt worden waren, dann war unsere Lage die ganze Zeit schon um einiges beunruhigender, als Mr Hardie uns hatte glauben lassen.
Ich saß lange Zeit mit geschlossenen Augen in der Dunkelheit, taub vor Angst und Kälte. Hin und wieder tauchte ich meine Hände in das Wasser zu meinen Füßen, nur um das Stechen des Salzes in den Wunden zu spüren. Ich wollte etwas anderes fühlen als die Furcht, die mich fest umklammert hielt. Mary Anns Kopf lag in meinem Schoß, und ich bewegte mich, nicht um eine bequemere Position zu finden, sondern um sie zu wecken. Sie atmete tief ein und aus, rührte sich aber ansonsten nicht. »Mary Ann«, sagte ich leise und beugte mich über ihr Ohr. »Schläfst du?«
»Was ist los?«, sagte sie schlaftrunken, und dann, als sie vollends erwachte, fragte sie: »Ist etwas passiert?« Aber da war das Bedürfnis, ihr zu erzählen, woran ich gedacht hatte, schon wieder verschwunden, und so sagte ich: »Schon gut. Schlaf weiter.«
Ich gab mir alle Mühe, an etwas Schönes zu denken, an die gemeinsame Zeit, die Henry und ich in London verbracht hatten, aber es gelang mir nicht. Erst im Morgengrauen schlief ich ein.
Zehnter Tag, Morgen
Der zehnte Tag erwachte kalt und
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