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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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Hardie etwas zu ihr sagte.
    Als ich unter der tropfnassen Segeltuchplane hervorkroch, rang Mrs Hewitt, die Hotelbesitzerin, die Hände und wurde von einem trockenen Schluchzen geschüttelt. Sie sagte, sie sei die Letzte gewesen, die mit Mrs Cook gesprochen habe, und ich hatte keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln, bis die geflüsterte Behauptung die Runde machte, Mr Hardie hätte danach noch mit Mrs Cook geredet. Mr Hardie sprach eine einzelne Frau gewöhnlich nicht direkt an, und so vermutete ich, dass die Episode während des Herumerzählens verändert worden war oder Hannah und Greta übertrieben oder sogar gelogen hatten. Aber da ich nichts davon miterlebt hatte, konnte ich mir auch keine verbindliche Meinung bilden. Mrs McCain, deren Reisegefährtin Mrs Cook gewesen war, zeigte keinerlei Gefühlsregung. »Ich kann es doch sowieso nicht mehr ändern, oder?«, sagte sie.
    Der Regen flaute ab, und der Morgen verging. Ich kann mich kaum an etwas erinnern, aber irgendwann kurz vor dem Mittag deutete Mr Hardie auf eine Linie am Horizont, wo sich die Farbe und Beschaffenheit des Wassers deutlich verändert hatten. »Sturm«, sagte er knapp. Es vergingen ein paar Sekunden, ehe er hinzufügte: »Wenn er uns erreicht hat, müssen wir entschieden haben, was wir tun wollen.« Ich schaute mich um, schaute in die verbleibenden sechsunddreißig Gesichter und blinzelte dann in das Wasser, das um meine Füße schwappte, schließlich wieder auf die Linie aus windgepeitschten Wogen. Ich empfand eine Art distanzierte Beklommenheit, als ob ich mich an etwas erinnern würde, statt es tatsächlich zu erleben. Als Mr Hardie uns darüber informierte, dass uns noch fünfzehn Minuten blieben, trafen seine unergründlichen Augen schließlich meinen Blick. »Wir sind in Ihren Händen«, versicherte ich ihm stumm. »Sagen Sie uns nur, was wir tun sollen.« Sein Blick hielt mich eine ganze Welle lang fest. Er erregte mich, ermutigte mich. Zum ersten Mal seit Tagen war mir warm. Mr Hardie würde uns retten, wenn es in seiner Macht stand.
    Die Wellen brachen jetzt unentwegt über den Bootsrand, und eigentlich war alles andere völlig unwichtig geworden. Und doch fiel mir auf, dass der Himmel eine grünlich gelbe Farbe angenommen hatte, wie wir sie auf unserer Reise noch nicht erlebt hatten. »Sprecht eure Gebete, Kameraden«, sagte Hardie, und die Hoffnung, die ich eben noch hatte, fiel in sich zusammen. Rechts und links von mir sausten die Schöpfeimer hin und her. »Ach, hört doch auf damit!«, schrie ich, denn das Wasser im Boot stieg immer höher, trotz der Anstrengungen meiner Gefährten. »Wir werden ertrinken!« Ich sah keine Alternative mehr. Ich presste meine Arme an den luftleeren Raum unter meinem Brustkorb. »Es gibt keinen Ausweg!«, schrie ich den anderen zu, vielleicht auch nur Mary Ann. »Begreift ihr denn nicht, dass wir sterben werden?«
    »Aber natürlich gibt es einen Ausweg«, ließ sich Mr Hoffman mit sachlicher Stimme vernehmen. »Wir haben doch schon darüber geredet. Einige von uns können über Bord gehen, damit das Boot leichter wird.« Er wartete, bis die Bedeutung seiner Worte in unsere Köpfe gedrungen war, und fuhr dann fort: »Das ist unsere einzige Möglichkeit.« Ich schaute zu Hardie, was er dazu meinte, aber er blickte nur mit starrem Blick zu der Sturmfront. Colonel Marsh schrie: »Stimmt das, Mr Hardie?« Hardies Blick fegte über unsere erhobenen Gesichter wie der Lichtkegel eines Leuchtfeuers. »Aye, es stimmt, es sei denn, ihr wollt alle ersaufen.« Seine Worte öffneten die Tür zu einem Käfig, in dem ein wildes Tier hockte, und erst als es losgelassen war, konnte ich wieder atmen. »Aber natürlich«, sagte ich mit kühler Gelassenheit. Meine Furcht war vollständig gewichen. Ich fühlte mich wie ein Geschäftsmann, der sachlich und ohne jede Aufregung seine Investitionen plant, basierend auf einer Liste aus Zahlen und Wahrscheinlichkeiten.
    Mary Anns Gesicht verzog sich zu einer entsetzten Grimasse. »Über Bord springen?«, fragte sie. »Absichtlich?«
    »Natürlich absichtlich!« Ich hatte sie nicht anschreien wollen, aber ich brachte dieses Vorhaben schlichtweg nicht mit dem Tod in Verbindung, sondern mit dem Leben. Es kam mir nicht in den Sinn, dass ich diejenige sein könnte, die sich opfern musste. Bis zum Bankrott meines Vaters hatten mir alle Türen offen gestanden und die Mahlzeiten wurden mir von hübschen jungen Mädchen wie Mary Ann serviert. Sie muss gespürt haben, was ich dachte,

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