Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
Vom Netzwerk:
stürmisch. Unter uns rollte die See in riesigen Wellen, die jedoch glücklicherweise nicht brachen, sodass es uns gelang, den nur wenige Zentimeter hohen Wasserstand im Boot zu halten. Mrs Grant verteilte weiterhin ihren stillen Trost, und ein- oder zweimal äußerte sie Bedauern darüber, dass Mr Hardie uns aus Angst, das Boot könnte Wasser aufnehmen, nicht das Segel setzen ließ. Sie war überzeugt davon, dass unsere Erlösung einzig und allein in dem Erreichen einer weit entfernten Küste lag.
    Mr Hardie weigerte sich standhaft, mir in die Augen zu schauen, aber hin und wieder lächelte ich in seine Richtung und wollte ihm damit Mut zusprechen. Ich wusste nicht, ob er das nötig hatte oder nicht. Für mich war er zu etwas geworden, das sowohl mehr als auch weniger war als ein Mensch, so wenig hatte er mit dem Rest von uns gemeinsam. Aber meistens war mein Denken nach innen gekehrt. Ich versuchte, einen Moment vom nächsten abzugrenzen, was immer der auch bringen mochte, Gutes oder Schlechtes. Ich achtete kaum darauf, was an diesem Morgen im Boot vor sich ging. Es war nur entsetzlich unangenehm, in feuchten Kleidern in der Mitte dieser Leere zu sitzen, die alles war, was existierte, alles, was wichtig war. Ich maß die Zeit in den Intervallen, die zwischen dem Zittern meines unterkühlten Körpers oder den Schlägen meines verkrampften Herzens lagen. Ich verglich die Kälte meiner Brust mit der meiner Füße. Ich versuchte herauszufinden, ob es half, wenn ich meine Hände zwischen meine Beine schob, oder ob es besser war, sie in die Rettungsweste zu ziehen und eng an meine Brust zu drücken.
    Ich dachte an meine Überlegungen bezüglich des Notsignals und machte zweimal Anstalten, darüber zu reden. Einmal wollte ich Mary Ann davon erzählen, das andere Mal dem Diakon, der meinen Blick suchte, als Mr Hardie kein Wasser ausgab. Aber es kamen keine Worte aus meinem Mund, und außerdem fragte ich mich, was es bringen sollte, Misstrauen gegen den einzigen Menschen zu säen, der uns retten konnte. Außerdem hatte ich ja keinen stichhaltigen Beweis, dass die Marconi nicht doch voll funktionsfähig gewesen war. Und während ich versuchte, meine wirren Gedanken zu ordnen, stieß mein Geist auf eine neue Spur.
    Mr Hardie hatte uns berichtet, dass Mr Blake im Funkraum gewesen war, bis das Feuer alle dazu zwang, an Deck zu flüchten. Blake hatte bestätigt, dass Notsignale abgesetzt worden waren. Ich erinnerte mich tatsächlich daran, dass ich, als Henry und ich an Deck kamen, Mr Hardie in Begleitung eines Schiffsoffiziers gesehen hatte, der durchaus Blake gewesen sein könnte. Es war also wahrscheinlich, dass Blake Hardie zu diesem Zeitpunkt von den Notrufen erzählt hatte. Aber wenn die Marconi defekt gewesen war, dann hatte entweder Mr Blake Mr Hardie angelogen oder Mr Hardie log nun uns an. Und wenn Hardie log, dann nur aus dem einen Grund: um uns nicht zu beunruhigen. Trotzdem erschien es mir glaubhafter, dass Hardie davon überzeugt war, die Signale seien gesendet worden, denn warum sonst hätte er darauf bestehen sollen, dass wir unsere Position am Ort des Unglücks halten, wenn er gewusst hatte, dass niemand kommen und uns retten würde? Als Nächstes fragte ich mich, ob Mr Blake und vielleicht auch Mr Hardie nach der Explosion woanders gewesen waren und Mr Hardie nur vermutete, dass der Funker Notsignale gesendet hatte, weil dies das logische Vorgehen bei einer solchen Katastrophe war. Sollte dies der Fall sein, so hatte er nicht nur über die Funksprüche die Unwahrheit gesagt, sondern auch darüber, wo er – und vielleicht auch Blake – in den ersten Minuten des Unglücks gewesen war. Aber trotz meiner intensiven Gedankenarbeit gelang es mir nicht, der Sache auf den Grund zu gehen.
    Stattdessen überlegte ich mir, was ich Henrys Familie sagen wollte. Ich übte Reden ein über Liebe und unausweichliches Schicksal und dass ich mir schon mein ganzes Leben lang Tanten und Cousinen gewünscht hatte und aus tiefstem Herzen hoffte, die Winters würden mich als eine der ihren bei sich aufnehmen. Ich versuchte zu sagen, dass ich sie bereits jetzt schon liebte, nur wegen dem, was Henry mir von ihnen erzählt hatte, aber ich brachte es nicht glaubwürdig heraus, also ließ ich es bleiben. Während unseres Streits hatte mir Henry erzählt, dass seine Eltern Felicity Close, die sie seit ihrer Geburt kannten, vergötterten und dass Felicitys Mutter die engste Freundin seiner eigenen Mutter war. »Henry«, flüsterte ich dem

Weitere Kostenlose Bücher