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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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Gehör und mein Sehvermögen nur noch eingeschränkt vorhanden, vielleicht wegen der Unterernährung oder aufgrund der Wucht der Elemente, denen ich ausgesetzt war. Ich hatte Schwierigkeiten zu begreifen, was vor sich ging, und vieles verstehe ich erst heute im Rückblick. Einerseits wollte ich Hardies Versicherung glauben, dass wir auf absehbare Zeit über genügend Wasser verfügten, wobei dieser Zeitraum in meinen Augen mit einem oder zwei Tagen schon reichlich bemessen war, weil wir spätestens dann bestimmt tot waren. Andererseits hatte ich ein fast wissenschaftliches Interesse an der Wahrheit. Was mir noch im Gedächtnis ist, ist die Tatsache, dass ich auf Mrs Grant und Hannah wütend war, weil sie für die neuerliche Spannung im Boot verantwortlich waren, und ebenso auf Hardie, der uns womöglich angelogen oder gravierende Fehler gemacht hatte. Und vor allem wollte ich das Aufflackern der Angst in seinen Augen nicht sehen. Ich wollte kein Anzeichen von Schwäche sehen, denn ich hatte meine ganze Hoffnung auf ihn gesetzt. Er sollte dafür sorgen, dass ich überlebte. Ich spürte einen ähnlichen Widerwillen in einigen meiner Gefährten. Auch sie fürchteten eine offene Konfrontation. Mrs Grant mochte recht haben mit ihren Behauptungen, aber wir klammerten uns an unsere Illusionen oder an das, was davon noch übrig geblieben war.

Zwölfter Tag
    An unserem zwölften Tag im Boot fiel wundersamerweise ein Schwarm Vögel vom Himmel.
    »Das bedeutet, dass wir leben werden!«, frohlockte Mrs Hewitt.
    »Das bedeutet, wir werden sterben!«, kreischte Mary Ann, die nie weit von einer Panik entfernt war.
    »Natürlich werden wir sterben«, sagte Hardie fröhlich, als ihn alle mit Fragen bestürmten. »Es ist nur die Frage, wann.«
    »Das ist ein Geschenk Gottes«, sagte Isabelle, die stets ernsthaft und gottesfürchtig sprach, woraufhin Maria das Kreuzzeichen schlug. Sogleich nahmen Mr Hoffman und Mr Nilsson die Ruder auf und brachten uns nah genug an die Vögel, damit wir sie aufsammeln konnten.
    Der Staatsanwalt teilte Mr Reichmann mit, er wolle dies vor Gericht als Beweis einbringen, dass wir uns nicht gegenseitig hätten umbringen müssen, denn es war ja immerhin möglich, dass Gott wieder Vögel auf uns niederregnen lassen würde. »Damit konnten wir doch nicht rechnen«, erklärte ich entgeistert, als Mr Reichmann mir davon erzählte. »Niemand von uns hatte so etwas je zuvor erlebt.«
    Wir debattierten den ganzen Tag lang, was für Vögel das waren. Hannah, die sich die Aufgaben des Diakons zu eigen gemacht hatte, Mahlzeiten segnete und Gottes Wort verkündete, beharrte darauf, dass es Tauben sein müssten, und sei es nur aus symbolischen Gründen, so wie alle göttlichen Vögel entweder Tauben oder Falken seien. Und weil wir alle nur zu gerne glauben wollten, dass wir uns dem Land näherten, so nickten wir und nannten sie Tauben, während wir ihnen lachend die gelbbraunen Federn ausrissen und das rohe Fleisch von den zierlichen Knochen nagten.
    Hardie verdarb uns die gute Laune. »Diese Vögel sind uns nicht in den Schoß gefallen, weil wir uns in der Nähe von Land befinden. Sie sind tot vom Himmel gefallen, weil wir noch weit vom Land entfernt sind. Sie sind aus reiner Erschöpfung gestorben.«
    Wir hörten, was er sagte. Wir verstanden, was er meinte. Aber wir wussten ja, dass wir uns mitten auf dem Ozean befanden, weit weg vom Land und allem, was uns vertraut war. Wir wollten angesichts dieses großen Segens nicht daran erinnert werden. Als wir uns satt gegessen hatten, schlug Mrs Grant vor, dass wir etwas von dem restlichen Fleisch trocknen sollten, damit wir auch am nächsten Tag noch etwas zu essen hätten. »So ein Wunder geschieht sicher kein zweites Mal«, sagte sie. Wir machten uns gleich an die Arbeit und waren bald mit Federn und Innereien übersät wie Metzger in einem Schlachthof. Mrs McCain, die sich einen Ruf als steife und humorlose Person erworben hatte, sagte ganz plötzlich: »Wenn mich meine Schwester jetzt sehen könnte.« Wir lachten überrascht, nicht zuletzt, weil diese Worte selbst aus dem Mund einer so säuerlichen Frau nur als Scherz gemeint sein konnten.
    Das Fleisch der Vögel schmeckte tranig und leicht nach Fisch. Einen kurzen Moment sah ich mich selbst als wildes Raubtier, bis ich mich umschaute und erkannte, dass wir alle Raubtiere waren, heute und zu allen Zeiten. Aber im Grunde genommen kreisten meine Gedanken nur um das, was Mr Preston gesagt hatte – wie lange ein Mensch

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