In einem Boot (German Edition)
brach in Wehklagen aus. Wir alle waren betroffen, ob es nun eine Rolle spielte oder nicht. Hardie sagte: »Ich möchte erleben, wie Sie direkt in den Wind segeln. Wenn Sie nur die geringste Ahnung hätten, wüssten Sie, dass das nicht geht.«
»Aber ich dachte, der Wind käme von Amerika«, sagte Hannah.
Danach weigerte sich Hardie standhaft, noch etwas zu sagen. Stattdessen machte er sich an allerlei Dingen zu schaffen, doch es entging mir nicht, dass er unseren Kurs korrigierte, sodass wir wieder in eine Richtung fuhren, die in unseren Augen Osten war. Mrs Grant nannte uns ihre »Lieben«, auf ihre nüchterne, ernsthafte Art, und versicherte uns, dass noch nichts verloren sei, denn solange wir uns ostwärts hielten, mussten wir früher oder später England oder Frankreich erreichen. Das Zerwürfnis zwischen Mrs Grant und Hardie hatte schon eine ganze Weile unter der Oberfläche geschwelt. Ich hatte den Eindruck, dass sie vom ersten Tag an aus mehreren Situationen ihren Vorteil gezogen hatte, seit jenem Moment, als sie sich dafür ausgesprochen hatte, das Kind zu retten. Sie war die Erste gewesen, die vorgeschlagen hatte, ein Segel zu setzen, was uns anderen als eine gute Idee erschienen war, obwohl sich herausstellte, dass das Boot zum Segeln zu überfüllt war. Dann hatte sie lautstark die Lotterie kritisiert, ohne jedoch ihrem Widerspruch die Vehemenz zu verleihen, die dafür hätte sorgen können, dass die ganze Sache abgeblasen wurde. Der Tod der drei Männer kam uns allen zugute, aber Mrs Grant war es gelungen, sich dank dieser Tragödie auf eine höhere moralische Stufe zu stellen.
Hardie, der nach Fischen Ausschau hielt, hatte die Schultern so weit nach vorne gedrückt, dass er einen Buckel machte, was ihn einem Tier ähnlicher machte als einem Menschen. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen und hin und wieder betrachtete er uns mit schlecht verhohlenem Misstrauen. Ich wusste instinktiv, dass er sich seines Kommandos nicht mehr sicher war. Er war auch körperlich schwächer – wie wir alle – und sprach seine Ankündigungen und Anordnungen, die uns anfangs so viel Mut gemacht hatten, viel weniger kraftvoll aus als früher. Die Frauen suchten nun genauso oft Rat bei Mrs Grant wie bei Mr Hardie, und als er einschlief, ermattet von der langen Nacht, in der er nicht geruht hatte, stapfte Mrs Grant entschlossen zu den Wasserfässern und schaute hinein. »Da ist nicht so viel, wie ich erwartet habe«, antwortete sie auf unsere Fragen. Dann flüsterte sie Hannah etwas zu, deren Augen sich zu katzengleichen Schlitzen verengt hatten. »Er denkt, wir verstehen überhaupt nichts«, sagte Hannah, und als Hardie erwachte, fragte sie ihn rundheraus, wie viel Wasser in den Fässern sei. »Genug für mindestens vier Tage«, sagte Hardie, was wir, nachdem Mrs Grant die Fässer gerade selbst inspiziert hatte, für eine Lüge hielten.
»Sagen Sie uns die Wahrheit«, rief Greta. »Wir sind doch keine Kinder!«
Hardie war überrascht, blieb aber bei seiner Aussage.
»Machen Sie die Fässer auf und zeigen Sie es uns«, verlangte Hannah.
»Das hier ist keine Demokratie«, gab er zurück und machte sich daran, den Stand der Sonne zu messen. Der Wind hatte sich zu einer beständigen Brise entwickelt, und wir durchschnitten die Wellen in gutem Tempo, aber der Vorfall mit dem Wasservorrat und sein Irrtum von heute Morgen, als er offensichtlich den falschen Kurs gesteuert hatte, fügte Hardies Autorität ernsthaften Schaden zu. Und da sich nun drei Männer weniger im Boot befanden, hatte er wertvolle Verbündete verloren. Wenn er uns sein Handeln klar und deutlich erklärt hätte, hätten wir ihm vermutlich weiterhin geglaubt, aber er brabbelte nur etwas Unverständliches über scheinbaren Wind und wahren Wind und Manövrieren ohne Kompass und Chronometer und Leute, die zu viel Geld und dafür zu wenig Verstand hätten. All das deutete auf eine gewisse geistige Verwirrung hin. Wir dachten, dass Segeln etwas war, was man entweder konnte oder nicht. Wir wollten nichts über atmosphärische Störungen hören, über Unterströmungen oder abfallende Winde oder Gottes Hand.
An diesem Abend gingen Mrs Grant und Hannah mit Mary Ann im Schlepptau zum Heck des Bootes und verlangten erneut Klarheit über den Inhalt der Wasserfässer, damit wir uns selbst ein Bild von unserer Situation machen konnten. Erneut weigerte sich Mr Hardie. Ich sah sein Gesicht nur gelegentlich, weil mir die drei Frauen die Sicht versperrten. Außerdem waren mein
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