In einem Boot (German Edition)
Wir standen in einer Seitenstraße und beobachteten den rückwärtigen Garten mit seinen Buchsbaumbüschen und dem zierlichen Zaun. Dann wurde Miranda kühner, und wir schlenderten zur Vorderseite. Plötzlich blieb Miranda direkt vor der Eingangstür stehen und rief: »Wie konnten sie uns nur unser Haus nehmen!« Ich erwiderte, dass sie es uns nicht genommen, sondern wir es aufgegeben hatten. Mirandas Ausbruch rührte etwas in meinem Inneren an, das sich jedoch als Ärger auf meine Schwester Luft verschaffte anstatt als Groll gegenüber jenen, die im Leben erfolgreicher waren als meine Familie.
Während wir dort wie Bettler auf der Straße standen, ging die Tür auf, und eine junge Frau trat heraus, gefolgt von einem Mann, der wahrscheinlich ihr Vater war. Wir waren weitergegangen und hielten uns hinter Sträuchern verborgen, und ich glaube nicht, dass sie uns sahen, aber ihr Auftauchen schien Miranda wieder zu sich zu bringen. Ich konnte sie davon überzeugen, dem Haus den Rücken zu kehren, nachdem sie den neuen Eigentümern noch einen bitterbösen Blick zugeworfen hatte. Aber ich empfand etwas anderes. Zum größten Teil bewunderte ich sie, und der Anblick der jungen Frau in dem weißen, mit blauen Bändern verzierten Kleid schenkte mir eine seltsame Hoffnung.
Das Gespräch mit Mr Preston gab mir Halt. Ich weiß nicht, ob es an der Vorstellung lag, dass ich die Motivation zum Überleben in mir selbst trug, oder ob er in mir den Ehrgeiz geweckt hatte, mich nicht durch die Umstände in die Knie zwingen zu lassen. Ich schaute mich im Boot um, dann nahm ich dem Nächstbesten den Schöpfeimer aus den Händen und fing an, Wasser zu schaufeln, als ob mein Leben davon abhinge. Was ja auch der Fall war.
Wir hatten beschlossen, nach Europa zu segeln, obwohl es weiter weg war als Amerika. Gelegentlich rief Mr Hardie Dinge wie »Abfallen!« oder »Hart am Wind!«, was wohl bedeutete, dass er je nach Windrichtung den Kurs änderte. Dann mussten wir unsere Plätze wechseln, um die Wucht des Windes im Segel auszubalancieren. Während eines dieser Manöver nahm ich direkt vor Mary Ann Platz, die sich zwischen Hannah und Mrs Grant gesetzt hatte. Ihre Augen zuckten zwischen den beiden älteren Frauen hin und her, und ich hörte sie sagen: »Er hat sich nicht ausgeschlossen. Er hat auch einen Splitter gezogen.«
Hannah schnaubte verächtlich. »Glauben Sie etwa, er wusste nicht, welchen Splitter er ziehen würde? Er hat das alles arrangiert. Was hätten wir gestern wohl ohne Mr Nilsson, Mr Hoffman und Colonel Marsh gemacht? Selbst Mr Preston ist stärker als die meisten Frauen. Wir haben nur die schwächsten der Männer verloren. Glauben Sie, das war ein Zufall?« Blitzartig wurde mir klar, dass ich gestern genau dasselbe gedacht, es aber bereits wieder vergessen hatte. »Wenn er es tatsächlich geplant hat«, mischte ich mich ein, »dann nur, um uns andere zu retten.«
»Ach so«, sagte Hannah kalt. »Sie sanktionieren also einen Mord, wenn dabei Ihre eigene Haut gerettet wird.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich wusste nicht, warum Hannah mich plötzlich nicht mehr zu mögen schien, aber Mrs Grant betrachtete mich von oben bis unten mit dem ihr eigenen abschätzenden Blick und sagte: »Mach dir keine Sorgen um Grace, Hannah. Grace wird uns noch von Nutzen sein.«
Mary Ann setzte sich später neben Greta, die junge Deutsche, die Mrs Grant maßlos bewunderte, und ich sah sie miteinander tuscheln. Und so verbreitete sich die Saat des Misstrauens, schlug Wurzeln und gedieh. Später an diesem Tag zog Mrs Grant Hardies Orientierungssinn in Zweifel. »Wir segeln im Kreis«, behauptete sie. »Erst fahren wir in die eine Richtung und dann in die andere.« Hardie höhnte: »Was wissen Sie denn davon?« Wieder hatte ich den Eindruck, dass er sich während des Sturms verletzt hatte, denn er hatte die Rettungsweste, die der Diakon ihm gegeben hatte, ausgezogen und seinen linken Arm gegen die Brust gebunden. Aber er hielt das Messer in der Hand und blickte angespannt ins Meer auf der Suche nach einem Fisch. Das war der alte Hardie. Vielleicht war er doch nicht so angeschlagen, wie es den Anschein machte.
Hannah sagte: »Ich dachte, wir hätten beschlossen, stetig nach Osten zu segeln, um Wind und Strömung auszunutzen, aber im Augenblick fahren wir nach Süden, warum auch immer.« Die Sonne war von ihrem Zenit herabgestiegen, was es ermöglichte, die Himmelsrichtungen festzustellen. Hannah hatte recht. Mary Ann
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