In einem Boot (German Edition)
vermutlich die Blicke bemerkt, die Hannah und ich getauscht hatten, so wenige es auch gewesen waren, und wollte verhindern, dass wir eine weitere Gelegenheit für einen solchen Austausch bekamen. Einen Augenblick lang war ich wütend, weil man mich derart manipuliert hatte.
Natürlich kann ich mich auch irren. Während ich nach einer vernünftigen Erklärung für Mary Anns Verhalten in dieser Situation suche, ziehe ich die zahlreichen anderen Gelegenheiten nicht in Betracht, bei denen sie ohne jede Vernunft reagiert und sich damit als eine Person offenbart hatte, die rund um die Uhr am Rande eines Nervenzusammenbruchs stand. Ich hätte große Mühe, all meine eigenen Handlungen während dieser Tage im Boot zu erklären, und so ist es nicht fair, von mir Erklärungen über das Verhalten von jemandem zu verlangen, der sich geistig und emotional in einer derart instabilen Verfassung befand. Aber damals dachte ich, ich würde ihre Motivation verstehen, und im Interesse der Wahrheitsfindung habe ich aufgeschrieben, wie mir zumute war. Dieser Vorfall verdeutlicht auch, dass wir während der endlosen Stunden, in denen wir nichts zu tun hatten, unsere Gedanken auf Wanderschaft schickten und versuchten, den Sinn von allem zu begreifen, so wie es die Menschen schon immer getan haben.
Später ging der Mond auf und überzog das Boot mit seinem kalten Licht. Die antiken Völker beteten den Mond an, weil sie ihn nicht erklären konnten, und ohne richtig zu wissen, was ich tat, schickte ich ein kleines Gebet zu dem leuchtenden Trabanten und flehte um unsere Rettung. Ich dachte eine ganze Weile darüber nach, ob mein Gebet nur bei Vollmond Wirkung zeigen würde und nicht bei der abnehmenden Mondsichel, die in jener Nacht am Himmel hing. Dann sprach ich ein Gebet für Henry, wobei ich mich schämte, dass ich in letzter Zeit so selten an ihn gedacht hatte.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mary Ann zu diesem Zeitpunkt noch neben mir am Dollbord saß, aber ich habe nicht darauf geachtet und kann es deshalb auch nicht mit letzter Gewissheit behaupten. Auf jeden Fall war sie, als die Sonne am nächsten Morgen aufging, zu ihrem ursprünglichen Platz auf der Querbank zurückgekehrt und saß nun neben Mr Preston, der noch meinen alten Platz innehatte. Sie waren beide wach und schienen vertraulich miteinander zu sprechen, zuckten aber zurück, als Mary Ann zu mir schaute und bemerkte, dass ich sie beobachtete. Ich dachte an ihren Wunsch vom gestrigen Abend, ich möge sie zur Reling begleiten, und meine Sicht auf die Dinge geriet wiederum ins Wanken. Jetzt überlegte ich, ob diese ganze Charade nur dazu gedient hatte, unbemerkt mit Mr Preston sprechen zu können, und überhaupt nichts mit Hannah und mir zu tun hatte. Aber ich nahm an, dass meine Fantasie mit mir durchging. Ringsum im Boot regten sich die Menschen, und die Ereignisse des kommenden Tages führten dazu, dass ich alle Gedanken über Mary Anns alberne Intrigen aus meinem Kopf verbannte.
Dreizehnter Tag
Am Tag nach dem Vogelsturz tauchte eins der anderen Rettungsboote wieder am Horizont auf. Ob es eins der beiden Boote war, die wir früher schon gesehen hatten, oder ein ganz anderes, konnten wir nicht sagen, obwohl Hardie sicher zu sein schien, dass es eins der beiden ersten war. Mr Hoffman, der für die Beobachtung des nordöstlichen Quadranten zuständig war, entdeckte es zuerst, aber es verschwand sofort wieder hinter der Krümmung der Erde, und so hatten wir nur sein Wort, bis es später am Tag wieder auftauchte. Mittlerweile wurden Nachrichten dieser Art als reine Halluzination abgetan und verursachten kaum noch eine Reaktion. Natürlich regte sich hoffnungsvolles Interesse, aber nichts, was man als Überzeugung werten könnte.
Das Loch im Boot hatte uns in eine noch gefährlichere Lage gebracht, und es herrschte die unausgesprochene Furcht, dass wir erneut unsere Bootslast würden erleichtern müssen, falls wir in einen weiteren Sturm gerieten. »Können wir es nicht flicken, Mr Hardie?«, fragte Mrs Grant, als die Sonne über den Horizont lugte. »Ihnen fällt doch gewiss etwas ein!« Aber sosehr er es auch versuchte, trotz der hineingestopften Decken sickerte immer ein wenig Wasser durch. »Das ist kein glattes Loch«, sagte er. »Sie sehen doch selbst, wie das Holz gesplittert ist.« Aber immer wieder drängte Mrs Grant: »Sie müssten doch eine Lösung finden, ein Mann mit Ihrer Erfahrung und Entschlossenheit!« Irgendwann verlor er die Geduld und schrie: »Dann
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