In einem Boot (German Edition)
flicken Sie es doch selbst! Sehen Sie zu, wie Sie mit diesem ganzen verdammten Mist zurechtkommen!«
Ich war schockiert, wie schnell er angesichts einer so harmlosen Provokation die Nerven verlor, besonders weil wir uns ja erst gestern satt gegessen hatten. Außerdem lagen auf der Abdeckplane Streifen von Fleisch zum Trocknen – uns erwartete also ein reichhaltiges Frühstück. Ich suchte Hannahs Blick, aber sie schien in Gedanken versunken und sich ihrer Umgebung kaum bewusst zu sein, bis Mrs Grant sie bat, jedem von uns zwei Streifen Fleisch auszuteilen. In der Regel übernahm Mr Hardie selbst die Wasserausgabe, aber heute grummelte er Mr Hoffman etwas zu, der daraufhin die Blechtasse herumreichte. Mit der wenigen Flüssigkeit in unserem Mund fiel es uns schwer, das harte Fleisch herunterzuschlucken, und ich fragte mich, ob wir uns wirklich die Mühe hätten machen sollen, es zu trocknen. Ich sah, dass Isabelle das Fleisch ins Meer tauchte, um es aufzuweichen, und obwohl es dadurch leichter zu kauen war, war mir klar, dass das Salzwasser ihrem Körper wertvolle Flüssigkeit entziehen und ihren Durst nur verschlimmern würde.
Die Wellen umwogten uns in einem stetigen, hypnotischen Muster. Das Auf und Ab war so gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Wir saßen die meiste Zeit nur still da, bis auf diejenigen, die das Boot ausschöpften und das Wasser, so gut sie konnten, ins Meer zurückgossen. Wir anderen befanden uns in einer Art Nebel, teils sehnsüchtig, teils eingelullt von dem rhythmischen Schaukeln und von der Anstrengung, der Körper und Geist ausgesetzt waren, bis auf einmal zwei Wellen gleichzeitig emporstiegen – unser Boot auf der einen reitend und das zweite Rettungsboot auf der anderen. Und da war es, klar und deutlich gegen den blauen Himmel sichtbar, etwa eine Viertelmeile von uns entfernt. Dann glitten wir wieder nach unten in den glasig grünen Kessel des Meeres.
Diesmal sahen es mehrere von uns. »An die Ruder!«, schrie der Colonel und durchbrach damit die entgeisterte Stille. »Rudert zu dem Boot!« Hektische Betriebsamkeit brach aus, während die Menschen versuchten, diese Neuigkeit zu begreifen, sie der immer kleiner werdenden Liste an Gewissheiten hinzufügten und von der immer länger werdenden Liste an Vermutungen strichen. Unter Poltern und Klappern wurden die Ruder unter dem Dollbord hervorgezogen, wo sie seit dem Sturm fast unbeachtet gelegen hatten, aber Hardie erhob sich mit ausgebreiteten Armen. Er sah fast aus wie der gekreuzigte Christus, als er schrie: »Das ist Blakes Boot! Ich will verdammt sein, wenn er es nicht ist! Ruder einziehen!«
»Auch wenn es der Teufel persönlich wäre«, gab der Colonel zurück. »Macht euch bereit zu rudern!«
In diesem Moment kam Hannah nach achtern gekrochen, tief gebückt und nach allem greifend, was irgendwie erreichbar war, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Mr Hardie war abgelenkt, und er schien sie nicht zu bemerken, bis sie nach den beiden Wasserfässern griff, die uns geblieben waren, nachdem eins im Sturm verloren gegangen war.
»Zurück auf Ihren Platz, verdammt noch mal!«, kläffte Hardie, der sie erst sah, als sie die Deckel der Fässer wegriss. Er machte einen Sprung in ihre Richtung und schrie: »Sie bringen uns alle in Gefahr!« Aber Hannah hatte die Hand in das Fass gesteckt und holte ein Holzkästchen heraus, das fest mit einem Stück Seil umwickelt war.
»Sie fürchten sich doch angeblich vor nichts, aber vor Blake haben Sie Angst!«, rief sie. »Ist dies hier der Grund?« Sie hatte offenbar gewusst, dass dieses Kästchen in dem Fass gesteckt hatte; höchstwahrscheinlich hatte Mrs Grant es gesehen, als sie in den Fässern nach Wasser geschaut hatte, und diese Information an Hannah weitergegeben.
»Legen Sie das zurück«, befahl Hardie. »Sie wissen nicht, was Sie tun.« Aber Hannahs Finger machten sich bereits an dem Stück Schnur zu schaffen und versuchten, den Knoten zu lösen. Einen Moment lang war das andere Rettungsboot vergessen; die großen Wellen, die uns so gleichmäßig auf und ab warfen und uns fast höhnisch bewiesen, dass sich das Prinzip der Welt nicht von den zahllosen kleinen Dramen des menschlichen Lebens aus der Ruhe bringen ließ, hatten es wieder vor unseren Blicken verborgen. Es war, als wäre es nie da gewesen. »Entwaffnet ihn!«, rief Mrs Grant. »Mr Hardie«, setzte sie in Befehlston hinzu, »geben Sie Ihr Messer her.«
Hardie schaute uns an. Seine Augen traten aus seinem hageren Gesicht. Seine
Weitere Kostenlose Bücher