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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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die Liste der Überlebenden in der Zeitung las. Trotz der Komplikationen, die dieser Umstand für mich bedeuten würde, kann ich nicht anders als schmunzeln, wenn ich daran denke, welcher immense Schock ihr Gesicht entstellt haben muss, das ich mir in meiner Fantasie kalt und hager vorstelle.
    Meine Schwiegermutter ließ in ihrem Brief nicht durchblicken, wie sie über mich und die ganze Situation dachte, aber sie machte den Vorschlag, dass meine Anwälte ein Treffen zwischen uns arrangieren sollten. Ich teilte ihr durch Mr Reichmann mit, dass ich es im Augenblick für nicht angebracht hielt, sie zu belasten, solange dieser Prozess einen Schatten auf meine Reputation warf, denn ich wollte nicht, dass dieser Schatten auch auf sie oder ihre Familie fiel. Ich muss zugeben, dass ich dabei auch an mich dachte, denn ich wollte niemandem von Henrys Familie mit demütig gesenktem Kopf entgegentreten oder mich ihrem Verdacht unterwerfen müssen, ich hätte Schuld oder Schande auf mich geladen. Ich fühle weder das eine noch das andere, aber ich möchte, dass unsere erste Begegnung frei von jeglichem Zweifel an meiner Unschuld ist. Wenn sie meine Anwälte bezahlt – was ich nur vermuten kann –, dann bin ich ihr zutiefst dankbar, aber ich will nicht, dass Dankbarkeit der Grundstein für eine Beziehung zwischen uns ist, sollte sich eine solche tatsächlich entwickeln. Von meiner eigenen Familie ist nur Miranda meine Lage bekannt. Sie schrieb mir, dass es wegen des prekären Geisteszustandes unserer Mutter nicht infrage käme, sie über meinen Leidensweg in Kenntnis zu setzen. Irgendwann werde ich ihr antworten, aber im Augenblick empfinde ich es als Erleichterung, meiner Familie zu nichts verpflichtet zu sein.
    Mr Reichmann besuchte mich heute, und ich gab ihm die Notizbücher, in denen ich meinen Bericht über meine Zeit im Rettungsboot aufgeschrieben habe. Er dankte mir und überreichte mir dann ein neues, unbeschriebenes Notizbuch und ein volles Tintenfass. Ich war überrascht und froh, denn ich merke, dass ich mich auf die Zeit freue, in der ich mich niedersetzen und meine Gedanken sammeln kann, mich »entsinnen«, wie Aristoteles sagen würde. Ich erinnere mich nicht gleich an alles, aber ein Gedanke führt zum nächsten, und auf diese Weise kehrt viel mehr in mein Gedächtnis zurück, als ich es anfangs für möglich gehalten hätte. Als mir Mr Reichmann das neue Notizbuch über den Tisch schob, an dem wir beide Platz nehmen müssen, berührten sich unsere Hände, was ihn so aus der Fassung zu bringen schien, dass er abrupt zurückwich und, um von dem Vorfall abzulenken, mir etwas darüber erzählte, was mich während meines Gerichtsverfahrens erwartete. »Die Wege der Gerechtigkeit sind manchmal lang und gewunden«, sagte er, worauf ich erwiderte: »Wenn sie denn überhaupt existiert.« Ich gab meiner Stimme einen strengen und bestimmten Ton, was ihn wiederum aus dem Gleichgewicht zu bringen schien. Dann lachte ich, um den Eindruck wegzuwischen, den meine Ernsthaftigkeit hinterlassen hatte, und wurde mit einem kurzen Stirnrunzeln belohnt, was mir bewies, dass dieser selbstbewusste, fast überhebliche Mann sich seiner selbst nicht in jeder Beziehung sicher war. Mein Lachen brachte mir einen missbilligenden Blick der Wärterin ein, die sich in die entfernte Ecke des Raums gestellt hatte. Ihr Blick reizte uns beide zum Lachen, was Mr Reichmanns Züge wieder in ihre übliche Position rückte. Jegliche Zurschaustellung von Humor oder Belustigung im Gefängnis wird zweifellos als verwerflich betrachtet, aber ich konnte mir nicht helfen, denn ich musste daran denken, wie lächerlich es war, erwachsene Menschen wie Kinder zu behandeln, sie zu tadeln und einzusperren und zu versuchen, eine Fabel zu erfinden, die ihre Taten entweder als tugendhaft darstellt oder als kriminell entlarvt.
    Natürlich vergeht kein Tag, an dem ich nicht an das Boot denke und mich frage, ob ich nicht lieber dort wäre als hier, aber das ist keine morbide Besessenheit, wie Dr. Cole es gerne sehen möchte. Ich betrete das blaue Gewölbe der Erinnerung eher so, wie man eine Kirche betritt: andachtsvoll, mit Ehrfurcht im Herzen. Die Kirche ist von Licht erfüllt – nicht von der üblichen Sorte, das durch bunte Bilder von Christus am Kreuz gefiltert wird, sondern von Meeresleuchten, gedämpft und grün und so kalt wie das Herz des Teufels.
    Kann man über Licht schreiben, ohne zu wissen, was es ist? Henry hätte das verneint, und Mr Sinclair hätte mich

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