In einem Boot (German Edition)
belehrt, also habe ich Mr Glover, Mr Reichmanns Assistenten, gebeten, mir Bücher zu diesem Thema zu bringen. Tut es irgendetwas zur Sache, wenn man weiß, dass Licht nur ein Teil eines Spektrums aus Wellenlängen ist, wie der Wissenschaftler sagen würde? Oder wenn man weiß, dass Licht sich in geraden Linien und in Wellen bewegt? Über Wellen weiß ich Bescheid. Sie türmten sich über uns auf. Wir ritten auf ihren Rücken und konnten von ihren Gipfeln aus einen Blick auf die majestätische, endlose und einsame See erhaschen. Wir stürzten in die Abgründe, wo uns hoch aufragende Wände aus Wasser einkerkerten und die Sicht auf die Welt versperrten.
Ich schrieb einmal über das Licht in einem Brief an Greta Witkoppen, das deutsche Mädchen, das Mrs Grant von Anfang an vergötterte und das ihren Aufenthalt in Amerika verlängert hat, um unserem Prozess beiwohnen zu können. Sie antwortete mir: »Reden Sie nicht über solche Dinge! Die Anwälte sagen, dass wir uns eigentlich überhaupt nicht schreiben sollten, denn ansonsten sähe es so aus, als würden wir uns miteinander verschwören. Aber sagen Sie Mrs Grant, dass sie sich keine Sorgen machen soll. Wir alle wissen genau, was wir zu tun haben! Was das Licht betrifft, so versuche ich, es zu vergessen, aber ich bezweifle, dass mir das jemals gelingen wird. Unheimlich war es. Alle dachten, es sei ein Zeichen von Gott, aber ich kann mir nicht helfen: Ich glaube, Hannah hat es heraufbeschworen. Ist Ihnen jemals in den Sinn gekommen, dass Hannah eine Hexe sein könnte?« Sie sprach von jenen seltsamen Lichtbändern, die am sechzehnten Tag erschienen und mitten in der Nacht über das Meer glitten. Auch ich werde sie nie vergessen, genauso wenig wie Hardies Kopf, der unvermittelt wieder auftauchte, als wir schon dachten, er sei endgültig untergegangen. Wir waren wie gebannt, trauten kaum unseren Augen, aber niemand zog in Zweifel, was wir sahen: Bänder aus Licht. Allerdings stritten wir erbittert darüber, was sie zu bedeuten hätten. »Das ist die Art von Licht, die man sieht, bevor man stirbt«, sagte Mary Ann.
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Isabelle. Isabelle war diejenige, die Mrs Fleming erzählt hatte, dass ein junges Mädchen von unserem Rettungsboot am Kopf getroffen worden war, als es zu Wasser gelassen wurde. Isabelle hatte sich neben Anya Robeson gesetzt, die nun aufbegehrte: »Reden Sie nicht über solche Dinge! Das ist schlecht für den Jungen!«, aber wir ignorierten sie. Mary Ann fuhr fort: »Meine Mutter wäre einmal beinahe ertrunken, und sie meinte, es sei gar nicht so, als würde man in Wasser ertrinken, sondern in Licht. Wenn meine Mutter bei dem Untergang der Zarin Alexandra nicht gerettet wurde, dann hoffe ich inständig, dass es für sie tatsächlich so war.«
»Tja, aber wir ertrinken nicht«, gab Mrs McCain zurück. »Oder etwa doch, Lisette?« Und Lisette, ganz das treue Dienstmädchen, schüttelte gehorsam den Kopf.
Die Wellen aus Licht waren wie Pfützen auf dem Wasser – jede für sich von den anderen abgetrennt, bewegten sie sich doch gemeinsam über die schwarze Leere. Sie glitten mit hoher Geschwindigkeit über das Wasser in Richtung Osten (behauptete Hannah), und dann, aus keinem ersichtlichen Grund, kehrten sie um und rasten von Osten nach Westen, so schnell, dass jede von ihnen das Boot nur einen Wimpernschlag lang beleuchtete. Wir hatten schon früher die erstaunlichsten Lichterscheinungen beobachtet, aber anders als alle zuvor war diese hier völlig unerklärlich. Das Schauspiel dauerte etwa dreißig Minuten. Dann war es abrupt vorbei.
Mrs Grant hatte während der ganzen Zeit geschwiegen, aber Hannah sprach von dem Licht als einer Metapher für das Verstehen, was mich an den Diakon erinnerte, der dem Prinzip des Verstehens skeptisch gegenübergestanden hatte. Er hatte behauptet, dass es nicht in unserer Natur lag, die Dinge zu verstehen, und dass alles Irdische ein Eisberg sei, den wir niemals ganz zu Gesicht bekommen würden. Er erzählte mir einmal, dass Glauben nur dann möglich sei, wenn man keine Erklärung als Gegenleistung verlangte, denn Erklärungen setzten Verstehen voraus und das Verstehen war allein Gottes Sache.
Aber der Diakon war nicht mehr da, und wir hatten nur Hannah, die, als sie im Boot aufstand und ihre Hände auf die Lichtstreifen richtete, wie eine Hohepriesterin aussah, die für uns den Segen jener Macht erflehte, an die sie glaubte. Ich wollte es vor den anderen nicht sagen, aber mein erster
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