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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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Kinder zu erschrecken.
    Dann, gedankt sei Gott, war er weg. Wir wandten uns um und nahmen wieder unsere Plätze ein. Und während wir das taten, schienen sich unsere Persönlichkeiten aus dem Bund zu lösen, den wir in unserem gemeinsamen Bestreben geschlossen hatten. Mrs Grant war wieder ganz die geschäftige Vernunft, Hannah kümmerte sich betont fürsorglich um die anderen Insassen im Boot – immerhin hatten wir gerade jemanden um ihretwillen umgebracht. War das nicht Beweis genug, wie viel unsere Kameraden uns bedeuteten? Aber ich wollte mit niemandem reden, wollte nicht einmal darüber nachdenken, was wir getan hatten. Stattdessen fing ich an aufzuräumen. Ich hob die fauligen Vogelreste auf und warf sie ins Meer.
    Es gibt noch eine weitere Szene, die mir lebhaft im Gedächtnis geblieben ist. Ich stand am Dollbord, noch gänzlich unter dem Eindruck dessen, was wir getan hatten, starr vor Entsetzen, den Blick fest auf die Stelle gerichtet, wo Hardie eben untergegangen war und wo er kurz darauf wieder an die Oberfläche kommen würde. Hannah stand auf meiner linken Seite, dicht neben mir, und allmählich wurde ich mir der kompakten Gestalt von Mrs Grant zu meiner Rechten bewusst. Ich wurde gestützt und behütet von diesen beiden unumstößlichen Säulen, so wie sie in den vergangenen zwei Wochen all die anderen Frauen gestützt und behütet hatten, mich jedoch nie. Ich riskierte einen Blick zu Hannah hin und fürchtete, dass ich mir ihre Anwesenheit nur einbildete, dass sie verschwinden würde, wenn ich genau hinschaute. Ich fürchtete auch, dass mich das, was ich zu sehen bekam, erschrecken würde. Aber ihre zerschnittene Gesichtshälfte war von mir abgewandt. Sie hatte ihr Haar nach hinten geschoben und es zu einem ordentlichen Zopf gedreht. Das Feuer war aus ihren Augen gewichen und von einem kühlen, fast engelsgleichen Glänzen abgelöst worden. Der Blick, den sie mir zuwarf, war nicht ganz ein Lächeln, mehr ein Zusammenpressen der Lippen. Damit schien sie meine Leistung anzuerkennen oder zu loben, und in diesem Augenblick fühlte ich mich, wie sich ein Mann fühlen musste, der seinen Feind endgültig aus seiner Heimatstadt vertrieben hatte. Meine Sinne waren geschärft, das genaue Gegenteil von der Taubheit, die ich erst vor wenigen Minuten gefühlt hatte, als ich mich Mr Hardie näherte. Obwohl ich zu Hannah blickte, nahm ich auch Mrs Grants Nicken wahr, ein Zeichen der Anerkennung, aber wie war das möglich? Wie konnte ich gleichzeitig sehen, was rechts und links von mir vorging? Ich weiß es nicht. Ihre starken, lebendigen Hände berührten meine Schultern und fanden sich hinter meinem Rücken. Und ich wusste, dass ich gewärmt und umarmt wurde, wie die meisten der anderen Frauen hier im Boot gewärmt und umarmt worden waren. Ich wusste mit einem Mal, was die anderen wollten, was Hannah und Mrs Grant geben konnten, denn endlich hatte ich es für mich selbst. Eine Flut der Erleichterung wusch über mich hinweg, als sich der leichte Druck ihrer Hände verstärkte, bis ich fast das Gleichgewicht verloren hätte und tatsächlich ein wenig Angst bekam. Aber dann durchstieß Hardies Kopf ein letztes Mal die Wasserfläche und rüttelte uns wach, in welcher Träumerei wir auch vereinigt gewesen sein mochten.
    Wir brachen in eine Art hektische Häuslichkeit aus. Wir säuberten das Boot, schöpften es aus, zogen die Ketten an den Ruderdollen fest. Wir verknoteten die ausgefransten Seilenden, an denen das Segel festgebunden war, und verstauten den Rettungsring, so gut wir konnten. Ich weiß nicht, ob wir den Mut gehabt hätten, das ganze Gerangel zu wiederholen, mit Mr Hoffman etwa, aber als ich mich nach ihm umblickte, war er verschwunden. Ich fragte die Italienerinnen nach ihm, indem ich auf die Männer deutete und so tat, als würde ich zählen, woraufhin sie anfingen zu heulen und angstvoll ins Wasser schauten. Mr Preston und der Colonel saßen stumm und benommen da und hatten von da an nichts mehr zu sagen. Und Mr Nilsson, der Hoffmans Freund gewesen war, sah aus wie ein Jäger, der in seiner eigenen Falle gefangen saß.
    Während wir Ordnung in das Boot brachten, machte sich Mrs Grant daran, unsere Vorräte zu überprüfen. In dem Moment, in dem sie verkündete, dass wir kein Wasser mehr hätten, stieß Hannah einen Freudenschrei aus und zog eine zusammengerollte Ölhaut unter dem hinteren Sitz hervor, auf dem sich Hardies Platz befunden hatte. Sie übergab ihren Fund Mrs Grant, die das Päckchen öffnete

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