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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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geglaubt, dass die Anklage gegen mich zu einer dauerhaften Veränderung meiner Lebensumstände führen könnte, dass ich etwa lebenslänglich eingesperrt oder sogar hingerichtet werden könnte. Ich weiß noch, dass ich Miranda gegenüber einmal erklärte, das ganze Leben sei ein Spiel, und ich kann mich auch erinnern, dass ich die Streitgespräche mit Dr. Cole amüsant fand. Jetzt aber war ich ernsthaft besorgt. Doch es ist nie ratsam, sich im Dunkel der Nacht eine vorschnelle und beunruhigende Meinung zu bilden – eine Lektion, die ich durch die Katastrophe, die meine Familie befallen hatte, und durch die Zeit auf dem offenen Meer gelernt hatte –, und am nächsten Morgen hatte ich einen Großteil meiner Gelassenheit wiedergewonnen. Allerdings genügte ein einziger Blick auf Florence, um mich daran zu erinnern, was aus mir werden könnte, wenn ich meinen Fall nicht gewann. Zum ersten Mal dachte ich ernsthaft über meine Mutter nach und fragte mich, ob meine Psyche vielleicht von irgendeinem unberechenbaren Gen gesteuert wurde.
    Ich überlegte auch viel sorgfältiger, was ich Dr. Cole gegenüber sagte. Ich wollte von ihm erst mehr über Florence erfahren, und nachdem ich ihm ein bisschen von ihr erzählt hatte, fragte ich, ob solche Menschen von vornherein geistig verwirrt seien oder ob die Umstände dazu führen würden.
    »Und was wären die Umstände in Florence’ Fall?«, fragte er mich, wobei er nicht im Mindesten zu erkennen gab, ob er sie kannte oder nicht.
    »Sie ist im Gefängnis eingesperrt und wird beschuldigt, ihre Kinder ermordet zu haben!«, rief ich, vielleicht mit etwas zu viel Vehemenz, denn ich hatte es ihm bereits erklärt und wollte nicht alles zweimal sagen.
    »Also ganz ähnlich wie Ihre eigenen Umstände, nicht wahr?«, sagte er nachdenklich. Er hatte die Augen fast völlig geschlossen und machte den Eindruck, als grübele er angestrengt über irgendetwas nach und als sei das, was er sagte, eigentlich nur für ihn selbst bestimmt. Obwohl ich in seiner Gegenwart nicht gerne meine Gefühle offenbarte, warf ich frustriert meine Arme hoch. Aber so ist das immer mit Dr. Cole. In seinen Augen gibt es nichts, was nicht irgendwann auf Umwegen zu mir zurückkehrt.

Das Gesetz
    Heute fand eine Anhörung vor Gericht statt. Die Vertreter der drei Anwaltskanzleien versuchten Richter Potter davon zu überzeugen, die Anklagen gegen uns fallen zu lassen. Mrs Grant, Hannah und mir wurde Mord vorgeworfen, was bedeutete, dass wir nicht nur jemanden aus niedrigen Beweggründen umgebracht haben sollten, sondern dass die Tat auch vorsätzlich geschah, mit anderen Worten: dass sie geplant war. Beide Parteien hatten bereits dicke Schriftsätze eingereicht, hatten Argumente für oder gegen die Verteidigung vorgebracht, und auf diese bezog sich der Richter bei seinen Fragen. Ich saß neben Hannah und Mrs Grant auf einer schmalen Holzbank. Es war uns gestattet, der Anhörung beizuwohnen, allerdings durften wir nicht selbst sprechen.
    Es folgte eine lange Diskussion darüber, ob es Mord ist, wenn ein Mann, der sich in seinem Bemühen, den Kopf über Wasser zu halten, an eine Planke klammert und einen anderen Mann wegstößt, der ihm ansonsten die Planke abnehmen würde. Ist es Mord, wenn es dem zweiten Mann gelingt, dem ersten die Planke zu entreißen? Kann es in einem solchen Szenario zu einer Mordanklage kommen, wenn man den natürlichen Überlebenswillen des Menschen in Betracht zieht und die Tatsache, dass die Planke nur eine einzige Person halten kann? Ist der Überlebende dazu verdammt, den Rest seiner Tage im Gefängnis zu verbringen, wenn der Vorfall bekannt wird?
    »Ganz gewiss nicht«, behauptete Mr Reichmann. »In diesem Fall findet kein direkter Angriff statt, also auch keine Körperverletzung, und der Verlierer hat immer noch die Chance, eine andere Planke zu finden.«
    »Ich denke, das Recht des Ersten spielt hier eine entscheidende Rolle«, sagte Hannahs Anwalt, ein hagerer und bleicher Mann, der den Eindruck machte, als hätte er noch nie die Sonne gesehen.
    »Und was, wenn doch eine Körperverletzung stattfindet?« Mrs Grants Anwalt war das genaue Gegenteil von Hannahs. Er war robust und korpulent. Sein Jackett saß so stramm, dass man Angst haben musste, die Knöpfe würden jeden Moment abspringen. Er hatte ein fröhliches Gesicht und rote Wangen, aber er lächelte für meinen Geschmack zu viel, angesichts der Schwere des Vergehens, das man uns vorwarf.
    »Aber wir reden doch nicht über eine einfache

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