In einem Boot (German Edition)
Umständen unterdrückt hätten.
»Welche Art von Ärger unterdrücken Sie denn normalerweise?«, erkundigte er sich, was mich aus irgendeinem Grund in höchstem Maße ärgerte.
»Nun, ich bin zum Beispiel jetzt verärgert«, sagte ich, »und wenn Sie nicht gefragt hätten, hätte ich das Verlangen unterdrückt, Ihnen zu sagen, dass Sie mich an meinen Vater erinnern, der gute Geschäfte machte, solange seine Partner ihn unterstützten, der aber schlussendlich ihren betrügerischen Machenschaften nichts entgegenzusetzen hatte.«
Ich weiß nicht, was ich mir von diesem Wortgeplänkel versprach, denn die Hälfte von dem, was ich sagte, basierte auf der Tatsache, dass ich die ganze Sache als ein Spiel betrachtete, nicht als Möglichkeit, in mein rätselhaftes Ich einzutauchen. Aber meine Sitzungen mit dem Doktor ließen die Tage rascher vergehen, und ich kehrte jedes Mal erfrischt und belebt in meine Zelle zurück. Ich war froh, dass ich mit jemand anderem als Florence reden konnte, die mittlerweile der Meinung war, das gesamte Justizsystem sei einzig zu dem Zweck entwickelt worden, sie zu Fall zu bringen. Sie flüsterte: »Es tut mir leid, dass Sie mit hineingezogen wurden, aber Sie merken doch, was vor sich geht, nicht wahr? Sie schrecken vor nichts zurück. Sie haben doch gewiss begriffen, dass sie es von Anfang an auf mich abgesehen hatten.«
Einmal fragte sie mich, ob ich schon einmal jemanden getötet hätte, und ich sagte, ja, das hätte ich wohl. Meistens beachtete ich sie gar nicht, aber es gab Tage, an denen sie stundenlang an ihrer Zellentür stand, das Gesicht gegen die Gitterstäbe gepresst, und mir Dinge über ihre Kinder oder ihren Ehemann oder den Richter zuflüsterte, der den Vorsitz in ihrem Verfahren hatte. Manchmal sagte sie etwas, was mich aufhorchen ließ. Ich war gerade aus dem Badehaus in meine Zelle zurückgekehrt, und als die Aufseherin die Tür hinter mir abschloss, meinte ich, Florence etwas über Dr. Cole sagen zu hören. Sie hatte sofort meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit, und ich überlegte kurz, ob ich reagieren sollte, und wenn ja, wie. Schließlich rief ich: »Verzeihen Sie, aber haben Sie etwas gesagt?« Doch mittlerweile hatte sie bereits das Thema gewechselt und sprach über Unzurechnungsfähigkeit und die Verlegung in eine Nervenheilanstalt. Ich zögerte, weil ich mich nicht auf Details einlassen wollte. Dann hätte ich vielleicht mehr über mich preisgeben müssen, als ich sie wissen lassen wollte. Eine Kälte zog durch mich hindurch, und ich hatte den Verdacht, dass Florence nur deswegen in die Zelle gegenüber gesperrt worden war, um mir Informationen zu entlocken, die sie dann an Dr. Cole weitergab. Ich hatte angenommen, dass Dr. Cole ausschließlich zu meinem eigenen Nutzen engagiert worden war, aber jetzt erst dämmerte mir, dass er möglicherweise auch andere Häftlinge betreute, und wenn Florence seine Patientin war, mochte sie ihm gewisse Dinge über mich verraten haben.
Das war ein erschreckender Gedanke, und ich verbrachte eine gute Stunde mit der Überlegung, ob ich etwas zu Florence gesagt hatte, was mich belasten könnte. Allerdings hatte ich keine wirkliche Angst, bis ich auf die Idee kam, dass Florence vielleicht doch keine Informantin von Dr. Cole war, sondern dass sie von ihm instruiert wurde, um mir Ideen ins Hirn zu pflanzen, die mich aus dem Gleichgewicht bringen sollten, damit ich dann während unserer Sitzungen Dinge enthüllte, die ich gar nicht preisgeben wollte. Diese Vorstellung hielt mich die ganze Nacht wach, und am Ende war mein Nachthemd klatschnass vor Schweiß.
Noch während ich über diese Dinge nachgrübelte, erkannte ich, dass es verrückt war, so etwas zu denken. Aber wenn es verrückt war, konnte es dann sein, dass ich tatsächlich langsam wahnsinnig wurde? Ich befand mich auf einer kreisrunden Bahn, wo ein Gedanke zu einem anderen führte und dieser wiederum zu einem anderen, bis ich wieder am Anfang stand und eine neue Runde begann.
Während ich wach lag und den hohlen Echos lauschte, die auf jedes Geräusch im Gefängnis folgten, gab ich mir alle Mühe, vernünftig zu denken, und diese Anstrengung brachte mich zu der Überzeugung, dass ein Gefängnis etwa die gleiche Auswirkung auf den Geist eines Menschen hat wie ein Rettungsboot auf dem offenen Meer. Ich hatte bisher nicht einmal unwillig meine Zeit hier abgesessen, immer in Erwartung des Tages, an dem man mich entlassen würde, denn ich hatte keine Sekunde lang ernsthaft daran
Weitere Kostenlose Bücher