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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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Einkäufe oder führten ihre Hunde Gassi. Die Mädchen trugen zerschlissene Cordhosen, die Jungen karierte Hemden. Aus einem offenen Fenster roch es nach Cannabis. Im Park spielten ein paar Kids Kickball, und unter einer riesigen Eiche spielte und sang eine Gruppe von Hare-Krishna-Jüngern.
    Hilary trabte neben ihr her wie ein Hund an der Leine.
    Nun, da Anne endlich wusste, woher Hilarys Körperfülle in Wahrheit rührte, schien ihre gesamte Körpersprache auf ihre Schwangerschaft hinzuweisen: die Hände, die auf ihrem Bauch ruhten, ihre Wangen, die noch runder geworden waren, ihr ruhiger Blick, in dem sich ihre gesamte innere Energie zu bündeln schien. Urplötzlich gingen Anne Dinge auf, die ihr vorher auch nicht ansatzweise seltsam vorgekommen waren, was ihr nicht zuletzt deshalb peinlich war, weil Schauspielerinnen immer wieder angehalten wurden, ihre Beobachtungsgabe zu schulen. Und so stellte sie Hilary nun jede nur mögliche Frage, die ihr gerade in den Sinn kam, während sie durch die Straßen schlenderten. Woher genau kam sie? Warum war sie von zu Hause ausgerissen? Wussten ihre Eltern, wo sie sich aufhielt? Wussten sie von ihrer Schwangerschaft? Stammte Alan aus ihrer Heimatstadt? Wann genau würde das Baby zur Welt kommen? Wie lange hatte sie schon auf der Straße gelebt, ehe sie in ihrem Hausflur gelandet war? Wie stellte sie sich ihre Zukunft vor?
    Offen und ehrlich beantwortete Hilary ihre Fragen. Sie kam aus einem kleinen Ort zwischen Binghampton und Syracuse. Ihre Mutterarbeitete in einem Lebensmittelladen. Ihr Vater hatte sie sexuell missbraucht, und sie war schon zuvor zweimal abgehauen, aber wegen Alan zurückgekehrt, der versprochen hatte, sie zu beschützen. Kurz vor Weihnachten waren sie schließlich nach New York gekommen und zunächst bei Alans Cousin untergekommen, der mit zwei Kumpels in einer Zweizimmerwohnung in Brooklyn wohnte, aber nach einem Streit hatte er sie rausgeschmissen. Dann hatte sie einen Studentenausweis und eine Schlüsselkarte auf der Straße gefunden, mit der sie sich Zugang zu einem Wohnheim verschafft und ihr Lager in einem leer stehenden Abstellraum aufgeschlagen hatte; dort hatten sie sich frei bewegen können, ohne größeren Verdacht zu erregen. Sobald sie sich dort einigermaßen häuslich eingerichtet hatte, war Alan nach Syracuse zurückgekehrt, um Geld für eine Wohnung und «den anderen Kram» zu verdienen. Allein aus diesen Worten konnte Anne heraushören, dass Hilary nicht nur überzogen romantische Vorstellungen, sondern darüber hinaus keinen Schimmer hatte, was es bedeutete, Mutter zu werden. Während Alans Abwesenheit war sie aus dem Wohnheim geflogen, hatte sich aber von Obdachlosenheimen ferngehalten, weil der Wachdienst des Wohnheims wahrscheinlich die Polizei eingeschaltet hatte. Und so war sie schließlich in Annes Hausflur gelandet, erschöpft und hundemüde, hatte einfach nur noch schlafen und es ein paar Tage warm haben wollen. Und bei Alans Rückkehr war sie bei Anne untergekommen.
    «Ich habe ihm gesagt, dass ich schon klarkomme», sagte sie. «Ich kann für mich selbst sorgen, aber er macht sich ständig Sorgen um mich.»
    «Das hättest du mir sagen müssen», platzte Anne heraus.
    «Was?»
    «Alles!»
    Das Mädchen blickte sie ungerührt an. «Du hast mich nicht gefragt», stellte sie fest.
    «Was hätte ich denn fragen sollen? ‹Oh, übrigens, bist du zufälligschwanger?› Oder: ‹Hast du ’ne Ahnung, ob irgendwann vielleicht ein versiffter Punk in meiner Küche auftaucht?›»
    Sie sprach so laut, dass die Hare-Krishna-Jünger zu ihnen herübersahen, aber sie starrte sie finster an, bis sie wieder zu singen begannen.
    Wütend schüttelte Hilary den Kopf. «Alan ist nicht versifft. Wir sind beide echt ordentlich, und ich habe mich die ganze Zeit um deine Wohnung gekümmert, stimmt’s? Ich weiß, du hast eine Menge für mich getan. Du hättest mich längst wieder vor die Tür setzen können. Aber ich schwöre, sobald wir eine Wohnung gefunden haben, zahle ich dir alles zurück. Du kannst von mir haben, was du willst.» Zum ersten Mal klang sie wie ein Teenager, und einmal mehr setzte sie den Hebel instinktiv an der richtigen Stelle an. «Aber mal ehrlich, Anne. Bist du nicht auch von zu Hause abgehauen?»
    Und natürlich lag das Mädchen richtig. Obwohl sie nichts, aber auch gar nichts davon wissen konnte. Sie war eine Magierin, eine Seherin. Anne war so perplex, dass sie kein Wort mehr herausbekam. Und die beiden weiter bei sich wohnen

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