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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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Rest des Morgens im Bett zu verbringen; nachmittags konnte er dann einen Spaziergang machen und anschließend sehen, ob Johnny für ein weiteres abendliches Besäufnis zur Verfügung stand. Wenn er sich ein paar Abende sinnlos betrank, würden seine Seelenwunden vielleicht heilen, und dann konnte er langsam wieder auf den Boden der Tatsachenzurückkehren. Vielleicht hatte er dann seine Gefühle wieder im Griff. Oder er fühlte überhaupt nichts mehr.
    Das Licht, das durch die dünnen rosafarbenen Vorhänge fiel, verursachte ihm Kopfschmerzen. Er überlegte, ob er sich auf die andere Seite rollen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass derart drastische Bewegungen fatale Konsequenzen nach sich ziehen würden. Der Magen drehte sich ihm um, und er schloss die Augen.
    «Da hast du’s dir aber gründlich besorgt», sagte eine Stimme.
    Als er aufsah, erspähte er Johnny, der an seinem Bett stand. Seine Silhouette zeichnete sich vor dem Fenster ab, dessen Vorhänge er gerade aufgezogen hatte.
    «Steh auf», sagte er. Er wirkte riesenhaft, ragte auf wie ein ganzes Gebirge. Dann verließ er das Zimmer, doch obwohl Mitch hoffte, er würde nicht wiederkommen, kehrte er gleich darauf mit einer Dose Pepsi und einer Handvoll Tabletten zurück, die Mitch schluckte, ohne weiter nachzufragen, worum es sich handelte.
    «Bald geht’s dir wieder besser», sagte Johnny.
    «Danke.» Nachdem er sich aufgesetzt und sich das Kissen in den Rücken geschoben hatte, war er fast stolz darauf, es in eine halbwegs vertikale Lage geschafft zu haben. Johnny saß schweigend neben ihm, reichte ihm die Dose und befahl ihm, einen Schluck zu trinken, weit fürsorglicher, als Mitch es ihm zugetraut hätte. Während seine Kopfschmerzen langsam abebbten, wurde ihm klar, worauf Johnny wartete – dass die Wirkung der Tabletten einsetzte.
    Die Dose war halb leer, als Johnny sagte: «Der Junge, von dem du mir gestern erzählt hast, dieser Thomasie. Er war heute Morgen in den Nachrichten.»
    Mitch öffnete den Mund, doch kein Ton drang heraus. Er schloss ihn wieder, schmeckte die letzten, Übelkeit erregenden Spuren des Whiskeys, die süßliche Penetranz der Cola. Noch war die Nachricht zu frisch, um irgendein Gefühl bei ihm auszulösen, und er schwieg einen Moment, in der Gewissheit, dass ihn seine Gefühle wohl nur allzu bald überwältigen würden. «Was ist passiert?», fragte er dann.
    «Er hat eine Flasche Wodka getrunken und sich mitten in der Nacht auf dem Highway vor einen LKW geworfen. Der Trucker ist im Krankenhaus. Kein Abschiedsbrief, gar nichts.»
    Jetzt war es heraus. Eine weitere Katastrophe in einer Welt, die nur noch aus Katastrophen zu bestehen schien. Ich sollte ebenfalls Schluss machen, dachte Mitch. Seine Schultern bebten, und er wartete auf das erlösende Schluchzen – doch stattdessen revoltierte sein Magen, die Cola und die Pillen kamen ihm wieder hoch, und er erbrach sich abermals in den Eimer.
    Johnny legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Ich weiß, dass du alles versucht hast.»
    «Offenbar nicht genug.»
    Johnny ergriff seine Hand, als wollte er sie halten, legte jedoch lediglich Mitchs Finger um die immer noch kalte Cola-Dose. «Zieh dich erst mal an», sagte er und verließ das Zimmer.

    Zum ersten Mal wollten alle im Krankenhaus mit ihm reden. Alle wollten wissen, was in Thomasie vorgegangen war, was er Mitch über seine Mutter erzählt hatte. Selbst aus Montreal war ein Helikopter mit Reportern gekommen, die über die Probleme der Inuit, über Suchtkrankheiten, Armut und zerrüttete Familien berichten wollten. Mitch galt als Experte für diese Themen, und sein Telefon klingelte derart unablässig, dass er schließlich das Kabel aus der Wand riss. Er hatte nichts zu sagen.

    Die Trauerfeier für Thomasie und seine Mutter fand im Gemeindehaus statt. Einer der Kirchenältesten hielt die Trauerrede; von den Verwandten meldete sich niemand zu Wort. Ein Freund von Thomasie aus der Highschool spielte Gitarre und sang einen John-Denver-Song. Thomasies Vater war nirgends zu sehen. Die Schwester aus dem Krankenhaus war gekommen, ebenso wie Fiona und ihre Eltern, doch als Mitch ihr sein Beileid aussprach, sah sie durch ihn hindurch, ohne ein Wort zu erwidern. Er drückte ihr seine Visitenkarte in die Hand und bat sie, ihn anzurufen, falls sie etwas brauchte. Sie stopfte die Karte in ihre Tasche, als handele es sich um ein wertloses Stück Papier.
    Als er darum bat, die Stelle wieder aufgeben zu können, wurde seinem Antrag sofort

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