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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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ist deine Entscheidung.« Ich wollte ihn nicht drängen.
    »Hätten wir auch etwas Zeit für uns?«, fragte er. »Alleine, meine ich?«
    Na also. »Daniel hat gesagt, wir könnten zusammen spazieren gehen oder so. Außerdem lassen sie mich eh die meiste Zeit in Ruhe.«
    »Was soll ich denn da anziehen? Zum Nachmittagstee im Herrenhaus?«
    Wie süß, dass er sich deswegen Gedanken machte! »Komm einfach wie immer«, sagte ich. »Schließlich ist es kein förmliches Abendessen mit Krawattenpflicht.«
    »Werden die Schwestern auch da sein?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Das wird ja immer besser«, sagte er, und seine Stimme troff vor Ironie.
    »Na schön, dann bis morgen. Du nimmst den Ein-Uhr-Zug, oder?«
    »Okay, dann bis morgen.«
    Nachdem ich aufgelegt hatte, fühlte ich mich kalt und einsam und irrte eine Weile durch das Haus. Daniel war in seinem Arbeitszimmer und trank, und die Schwestern schauten im Wohnzimmer fern. Es macht die Sache fast noch schlimmer, dass ich ihn morgen sehen werde und nicht erst in einer Woche. Damit hatte ich mich schon abgefunden.

Samstag, 16. Februar 1980
    Die Sonne schien, und Wim stand in Hemd und Krawatte am Bahnhof; damit sah er jünger aus, mehr wie ein Schulknabe. Das sagte ich natürlich nicht. Daniel war so nett, uns zur Burg Acton Burnell zu fahren, einer Ruine, die von grünem Frühlingsgras und Efeu überwuchert ist.
    »Hier ist ja überhaupt niemand«, sagte Wim, als wir ausstiegen.
    »Na ja, es ist Februar. Der Mob kommt erst später«, sagte Daniel
    Wim zog eine Augenbraue hoch. »Touristen«, erklärte Daniel. »Im Sommer wimmelt es hier nur so von ihnen. Also, von hier aus könnt ihr zu Fuß gehen, es ist nicht viel weiter als eine Meile. Oder wenn euch nicht danach ist, ruft von der Telefonzelle aus an, ja, Morwenna?«
    »In Ordnung«, murmelte ich. Er meinte natürlich, falls mein Bein abfiel. Ich sollte nicht mürrisch reagieren, wenn Leute Rücksicht auf mich nehmen. Das ist unhöflich.
    Die äußere Mauer war eingestürzt und der Burggraben voller Nesseln, und man konnte fast erkennen, was was war, wenn man schon einmal in einer richtigen Burg wie Pembroke oder Caerphilly gewesen war, wo alles markiert ist. Die Feen waren überall, weshalb ich natürlich auch vorgeschlagen hatte, einen Abstecher hierher zu machen.
    Mir ist früher schon aufgefallen, dass es zwei Sorten von Menschen gibt, mit denen man eine Burg besichtigen kann. Die einen sagen: »Hier würden wir die Bottiche mit dem siedenden Öl aufstellen und dort die Bogenschützen.« Die anderen sagen: »Und hier würden wir das Sofa aufstellen, und dort würden wir die Bilder aufhängen.« Zu meiner Zufriedenheit gehörte Wim eindeutig dem ersten Lager an. Er war mit der Schule in Conwy und Beaumaris gewesen, also kannte er sich mit Burgen aus. Wir schlugen erfolgreich eine Belagerung zurück (und kuschelten uns hin und wieder in eine windgeschützte Ecke), bevor er auch nur nach den Feen fragte.
    »Haufenweise«, sagte ich und setzte mich auf eine Fensterbank, damit er meinen Stock nehmen und sie sehen konnte. Ich schaute durch die kreuzförmige Schießscharte hinaus, aber die so reizvoll eingerahmte Aussicht bestand aus Strommasten auf Feldern und der roten Telefonzelle unterhalb der Burg.
    Wim setzte sich mit dem Stock auf dem Schoß neben mich und beobachtete sie eine Weile. Sie schenkten uns kaum Beachtung. Als wir Kinder waren, spielten die Feen mit uns, vor allem Verstecken und andere Spiele, bei denen wir hintereinander herjagten. Die Feen in der Burg schienen solche Spiele miteinander zu spielen – sie rannten von einem Raum in den nächsten, duckten sich hinter Mauern, flitzten durch Türen. Auch ohne Stock konnte ich sie sehen, also saßen Wim und ich da und fragten uns, was sie da trieben. Da kam plötzlich eine erstaunlich hochgewachsene Feenfrau mit langem Haar, in dem Schwanenfedern steckten, durch eine Mauerlücke gerauscht, sah uns und blieb stehen. Ich nickte ihr zu. Sie runzelte die Stirn und stolzierte zu uns herüber. »Hallo«, sagte ich, und dann auf Walisisch: »Guten Tag.«
    »Geh«, sagte sie auf Englisch. »Brauchen. In ...« Sie gestikulierte.
    »In den Valleys?«, fragte ich. Wenn es um Feen und Substantive ging, war ich Ratespiele gewohnt. »In Aberdare? In den Kohle- und Eisentälern?«
    Ich konnte spüren, dass Wim mich anstarrte.
    »Gehören«, sagte sie und deutete auf mich.
    »Dorthin, wo ich herkomme?«, fragte ich. »Ich fahre morgen.«
    »Geh«, sagte sie. »Zusammenfügen.«

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